Der Atem der Angst (German Edition)
wie ihr Sohn ihm intuitiv vertraut hatte. Sie war also doch nicht so steinern, wie sie tat. Jetzt sprach sie mit ihm beinahe, als hoffe sie auf seinen Rat. Das tat gut. Denn darum war er hier. Um sie auf die richtige Spur zu lenken, weg von seinem Bruder Gero, weg von seinem Vater. Heidi hielt ihm eine alte Farbfotografie hin. » Bei Birgits Überresten wurde außerdem dieses Foto gefunden, dass die Clique, mit der sie damals unterwegs war, beim Baden zeigt. Und deinen kleinen Bruder. Hier.«
Sie reichte das Bild Konrad, damit er es sich genauer ansehen konnte. Mit der Fingerspitze fuhr er darüber. » Mein Gott! Gero war so jung! So ahnungslos!«
Heidi nahm das Foto wieder an sich und steckte es zurück in ihre Jackentasche. » Warum war er dabei?«
» Weil…« Konrads Stimme zitterte. » Birgit hat ihn mitgenommen, weil ich mich an diesem Nachmittag nicht um ihn gekümmert habe, obwohl ich das eigentlich hätte tun sollen.«
» Hat er Birgit erschossen?«
» Nein.« Konrad stand von seiner Pritsche auf und kam langsam auf Heidi zu. Henner stellte sich augenblicklich breitbeinig hinter sie und die Beamten in der Tür wurden auch gleich hellwach. Das war doch lächerlich. Als ob er je einer Fliege etwas zuleide tun könnte. Er hatte eine verkrüppelte Hand! Und auch sonst war er nicht der Sportlichste. Sah man ihm das nicht an? Er blickte Heidi direkt in die Augen. » Nein. Mein Bruder hat dieses unschuldige Mädchen nicht erschossen. Er war ein lieber Junge. Ich wünschte, ihr fändet endlich heraus, wer es war. Denn ich weiß es auch nicht.«
» Hat er damals nichts gesagt, als er wieder zu Hause war?« Heidi blickte konzentriert zurück, so als wollte sie hinter Konrads Augen nach den fehlenden Puzzleteilchen suchen. » Wirkte er irgendwie anders?«
Konrad sog die Luft tief durch die Nase ein. » Das ist sehr lange her. Und doch weiß ich noch genau, dass er sehr nervös war. Meine Eltern und ich haben ihn immer wieder gefragt, ob etwas passiert war. Wo er war? Aber er wollte nichts sagen. Wir hatten keine Ahnung, dass er am Nachmittag ein Mädchen hatte sterben sehen.«
Heidi nickte langsam. » Und die Polizei hat ihn damals nie vernommen?«
» Nein. Denn er wurde mit Birgits Verschwinden nicht in Verbindung gebracht.«
» Aber du wusstest, dass er etwas damit zu tun hatte, obwohl er sich seiner Familie nicht anvertraut hat. Wieso?«
Hilflos rieb er sich über das Gesicht. Er sah beinahe so aus, als würde er losweinen. » Weil er sich, wie du sicherlich weißt, nach zwei Tagen in unserem Schuppen, hinter dem Sägewerk, erhängt hat.«
» Daraus hast du geschlossen, dass er etwas mit dem verschwundenen Mädchen zu tun hatte, nach dem in ganz St. Golden gesucht wurde?«
» Nicht direkt.« Konrad blickte zu Boden, als müsse er sich erst wieder ganz genau erinnern. » Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem er uns um Vergebung bat und beichtete, dass er das Gewehr meines Vaters mit hinauf zum Baden genommen hatte. Und dass einer von den Jugendlichen plötzlich nicht mehr zu stoppen war. Wer es war, das hat er uns leider nicht verraten. Über den Tod hinaus muss er ziemliche Angst gehabt haben. Derjenige, der Birgit erschossen hat, hat es tatsächlich geschafft, alle anderen, die dabei waren, zum Schweigen zu bringen. Bis heute.«
» Wo ist der Abschiedsbrief?«
» Den… den habe ich vernichten lassen.« Konrad zuckte entschuldigend mit den Schultern. Erst jetzt ging ihm auf, wie dumm das gewesen war. Damit wäre die Unschuld seines Bruders bewiesen gewesen. Aber aus einem seltsamen Impuls heraus hatte er diese hilflose, kleine Schrift niemandem anvertrauen wollen. Er hatte den Brief nicht als Beweisstück in einer durchsichtigen Tüte enden lassen wollen. Er war doch das Letzte, was er von seinem Bruder besessen hatte.
Heidi wirkte wenig begeistert. Sagte aber nichts dazu. Stattdessen schlussfolgerte sie: » Also haben du und dein Vater versucht, rauszufinden, wer es war?«
» Mein Vater. Ich nicht. Allerdings erst viele Jahre später, nachdem meine Mutter an gebrochenem Herzen gestorben war und die Teenager von damals eigene Kinder hatten und erpressbar waren.«
» Verstehe.« Für einen Moment schien Heidi nicht zu wissen, ob sie an dieser Stelle genauer nachfragen sollte. Doch dann entschied sie sich dagegen. » Und warum seid ihr nach Geros Tod nicht zur Polizei gegangen?«
Konrad lächelte. » Mein Vater hatte das Sägewerk zu leiten. Er wäre dran gewesen, wegen des Gewehres. Er
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