Der Atem der Angst (German Edition)
Sohnes zurück, das den kleinen Jungen an der Hand eines Mannes zeigte, dem ein ganzer Arm fehlte. Sie seufzte. » Mein Sohn musste die letzten Tage vieles mit sich alleine ausmachen.«
Louis drehte sich zu Heidi um und sah ihr ernst in die Augen. » Kümmern Sie sich um ihn. Besonders jetzt, wo er beinahe seine kleine Freundin verloren hat. Vergessen Sie ihn nicht, nur weil er so wirkt, als sei mit ihm alles in Ordnung. Er braucht Sie.«
Heidi nickte. » Okay. Schätze, du sprichst aus eigener Erfahrung. Tja…« Sie blickte auf die Armbanduhr. » Ich muss leider wieder los, die Zeit drängt ein bisschen.«
» Jepp.« Louis machte ein paar Schritte in den Raum hinein und sah Maya an.
Sie versuchte ein Lächeln. » Tut mir leid. Ich habe nur schon so lange nicht mehr in einem richtigen Zimmer gestanden, in dem die Heizung an ist und es etwas Weiches zum Schlafen gibt und– so albern es klingt– es nebenan fließend Wasser gibt. Ich würde so gerne duschen und mich hinlegen, wenn ich darf.«
» Na klar. Ich hole euch schnell noch was zum Anziehen.« Heidi rannte die Treppe rauf und kam gleich darauf mit einem Arm voller Klamotten und Handtücher zurück. » Hier bitte. Ist auch was von meinem Exmann dabei. Da drüben ist das Bad. Ich komme später in der Nacht wieder. Sobald ich mit diesem Robert gesprochen habe. Eure Eltern haben euch nie gesagt, dass er dabei war?«
Maya und Louis schüttelten die Köpfe. Maya setzte sich auf die Sofakante und zog sich Michelles Turnschuhe aus. » Mein Vater meinte, sie hätten einen Pakt geschlossen, nie wieder über das Vergangene zu reden.«
Heidi seufzte und schlug die Hände zusammen. » Okay. Dann werden wir mal sehen, ob Robert trotz des Paktes was zu sagen hat.« Heidi sammelte eilig noch ein paar Decken und Kissen zusammen. Dann rannte sie schon wieder Richtung Ausgangstür. » Ihr habt ja meine Telefonnummer, wenn was ist.«
Nachdem Maya und Louis geduscht und die Kleider gewechselt hatten, lagen sie steif wie zwei Bretter nebeneinander im Dunkeln auf dem Sofa. Aus den Augenwinkeln blickte Maya hinüber zur Terrassentür, in den sternenklaren Nachthimmel hinaus, an dem der Vollmond wie angeklebt hing. All das hier kam ihr merkwürdig unwirklich vor. Genauso unglaublich erschien es ihr allerdings auch, dass sie sieben Jahre ihres Lebens in einer Höhle im Wald verbracht hatte. Irgendwie kam sie sich heimatlos vor. So als sei ihre Vergangenheit mit einem Mal gelöscht. Als sei alles nur ein Traum gewesen. Endlich war sie genau da, wo sie sich immer hingewünscht hatte. Zurück in St. Golden. In einem Haus. In einem warmen Zimmer. Und nicht allein. Neben ihr lag ein Junge, der leise atmete. Klar, dass er auch noch nicht schlief. Es war, als hätten sie etwas zu besprechen. Etwas, das zwischen ihnen stand.
» Es tut mir leid«, flüsterte Maya. » Dass ich ihre Kleider genommen habe. Es tut mir wirklich leid. Ich wollte dir damit nicht wehtun. Und ich wollte Michelle auch nicht bestehlen oder so. Ich wusste nur nicht, wie ich mir sonst helfen sollte.«
Louis verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Seine Stimme klang weich. » Ist schon okay.«
Maya schluckte. Plötzlich hatte sie einen riesigen Kloß im Hals. » Es war so… so… so grauenhaft. Ich hatte so eine verdammte Scheißangst. Sie war da auf der Lichtung. Ganz alleine, genau wie ich. Verlassen und still. So wie niemand im Wald oder sonst wo auf der Welt verlassen sein sollte.« Maya schluchzte. » Es tut mir leid, Lou.« Schließlich weinte sie. All die Härte der vergangenen Jahre bröckelte von ihr ab. Sie schlug die Hand vors Gesicht und rollte sich wie ein Igel zusammen. Sie war keine Kämpferin. Keine Kriegerin. Sie war ein Mädchen.
» Ich weiß genau, was du meinst.«
Maya spürte seine Hand ganz sacht auf ihrer Schulter. » Und ich verstehe dich. Manchmal sind die Umstände eben so, dass sie einen zwingen, Dinge zu tun, die man sonst niemals tun würde.« Louis atmete tief ein und aus. Seine Wärme strahlte sanft in Mayas Richtung aus, sodass sie ein kleines Stückchen näher an ihn heranrobbte.
Sie schniefte. » Vermisst du sie sehr?«
» Ja. Ich denke schon.« Louis machte eine Pause und Maya wusste gar nicht, ob sie eigentlich hören wollte, was Louis zu diesem Thema zu sagen hatte. Zumindest nicht jetzt. Zumindest nicht in dieser Nacht. Doch sie hatte ihn gefragt, vermutlich, um endlich zu begreifen, dass er Michelle für immer in seinem Herzen mit sich herumtrug, als das Mädchen, mit
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