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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition)
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Wasser und reichte ihn seiner Mutter, die sich noch immer nicht gerührt hatte.
    » Hier! Trink das! Und dann sag mir, was damals passiert ist!«
    Weil sich Bella einfach nicht rührte, griff Louis nach ihrem Oberarm und beförderte seine Mutter unsanft in den aufrechten Sitz. » Hallo! Jemand zu Hause?!«
    » Lou!« Bella wand ihren Arm aus seinem festen Griff. » Hör auf, so rumzubrüllen!«
    Früher war sie einmal sehr schön gewesen. Mit siebzehn war sie sogar zur Schönheitskönigin von St. Golden gewählt worden. Sein Vater war stolz gewesen, sie zur Frau zu haben. Doch das war lange her. Viel war seitdem passiert. Sie hatte ein Kind verloren. Und ihren Mann. Von diesen beiden kurz aufeinanderfolgenden Verlusten hatte sich Bella nie wieder erholt. Ihr Gesicht war aufgedunsen und grau. Ihre einst strahlend blauen Augen waren von einem matten Schleier überzogen. Sie war zur Trinkerin geworden. Zu einer, die ihr Leben nicht mehr auf die Reihe bekam, die es nicht schaffte, einkaufen zu gehen, die vergaß, Wäsche zu waschen, die keine Lust mehr hatte, zu kochen oder zu lachen. Früher war sie witzig gewesen. Sie hatte gerne getanzt. Jetzt ließ sie sich einfach nur noch gehen. Ab und an schleppte sie einen Tischler vom Sägewerk mit nach Hause, und am nächsten Tag weinte sie am Küchentisch, weil er sich im Morgengrauen aus dem Staub gemacht hatte.
    » Ich brauche jetzt deine Hilfe. Verstehst du das?«
    » Oh Mann! Lou!«
    Sie schwankte und kippte sich mit einer ungelenken Bewegung das Wasser in den Mund, sodass es über ihr Kinn rann und aufs Unterhemd tropfte. Sie schaffte es nicht, den Blick zu halten.
    Louis setzte sich ganz dicht vor sie und hielt sie an den Armen fest. Und im nächsten Augenblick hörte er, wie er den Satz aussprach, hinter dem es kein Zurück mehr gab. » Du musst mir jetzt sagen, wie es damals bei Isabel war. Wo genau sie im Wald gefunden wurde!«
    » Hör auf, Lou!« Bella sackte in sich zusammen. » Ich will nicht an mein kleines Mädchen denken. Ich kann nicht. Hörst du? Was soll denn das?«
    » Du musst aber! Leonie ist verschwunden. Genau wie Isabel damals. Vermutlich hat sie gestern jemand aus der Turnhalle geholt.«
    » Was?« Bellas Pupillen schossen hin und her, auf der Suche nach einem Fixpunkt. » Was redest du da für einen Blödsinn?«
    Louis schüttelte sie. » Sieh mich an! Verstehst du, was ich sage? Die Polizei sucht überall nach ihr. Ich brauche deine Hilfe! Hat er sie damals gleich zum Hochsitz gebracht? Wie lang hat sie es alleine ausgehalten, bis sie …«
    » Lou!« Bella kreischte es fast und hielt sich die Ohren zu. » Warum quälst du mich? Du bist so grausam!«
    » Willst du, dass noch ein kleines Mädchen stirbt?«
    » Sie ist doch sowieso längst tot!« Weinend ließ sich Bella in die Kissen fallen. Sie zog die Knie bis zum Kinn.
    Louis strich ihr über den Rücken. » Verzeih mir, Mama. Verzeih mir bitte! Ich will sie doch nur finden.«
    Bella schüttelte ihren Kopf. » Du kannst nicht helfen. Niemand kann bei so einer Sache helfen. Genau wie damals niemand helfen konnte. Wenn in dieser Stadt ein Kind sterben soll, dann stirbt es auch. Das ist das ungeschriebene Gesetz.«
    Louis stand auf. » So ein Bullshit! Das ist nicht wahr. Und ich werde es beweisen.« Lautstark zog er die Tür hinter sich zu. » Ich werde sie finden.« Dann lief er die Treppe hinunter und aus dem Haus.

15 . HEIDI
    Heidi lenkte den Volvo durch den nächtlichen Wald, die gewundene Straße hinauf. In der Nähe der Eisenbahnschienen parkte sie unter den schwarzen Kiefern, zwischen denen der kalte Nebel hing. Sie knallte die Tür zu, bückte sich unter dem gelben Flatterband hindurch und lief auf das grelle Scheinwerferlicht zu, das einen Teil des Waldes taghell ausleuchtete. Es war gegen elf gewesen, als der entscheidende Anruf kam. Keine zwanzig Minuten später war sie hier oben.
    Ihr Atem stand als Wolke in der Nachtluft. Dieses Waldszenario sah so hypernaturalistisch aus. Wie auf einem Filmset. Die Kiefernstämme hoben sich gespenstisch aus der Dunkelheit hervor, der Farn strahlte grellgrün zurück. Heidi mochte den Wald nicht. Als Kind hatte sie sich bei einer Wanderung mit ihren Eltern einmal hoffnungslos verlaufen. Es hatte Stunden gedauert, bis sie endlich, heulend auf einem Baumstumpf, aufgefunden worden war. Wie ein böses, alles verschlingendes Etwas kam ihr der Wald noch heute vor. Wie etwas, das töten wollte.
    Die Kollegen von der Spurensicherung balancierten in ihren
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