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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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führte.
    Maya klang unsicher, als sie fortfuhr. » Wäre es dir lieber gewesen, ich wäre oben im Wald geblieben?«
    Obwohl Louis heilfroh war, dass sie bei ihm war, murmelte er: » Ich weiß nicht. Ich kann gerade gar nichts mehr denken.«
    Maya nickte. Sie schwieg, bis sie über die Ladenstraße und am Hotel vorbei gelaufen waren. Dann flüsterte sie schließlich: » Ich habe sonst niemanden, außer dir.«
    Und er hatte niemanden außer ihr. Sie waren zwei Einsame, die ihre Einsamkeit miteinander teilten und sie so überhaupt aushielten. Wenn sie einander verloren, war jeder von ihnen verloren. Dann hatte er niemanden mehr. Niemanden mehr, mit dem er reden, niemanden mehr, dem er vertrauen konnte. Niemanden, um sich einigermaßen geborgen zu fühlen. Trotz seiner plötzlich aufflackernden Wut auf Maya musste Louis sich eingestehen, dass er sie gerne mochte, dass er voller Bewunderung für ihre Zähigkeit war. Louis behielt das Ende der verwinkelten Kopfsteingasse im Auge. Um irgendwas von sich zu geben, murmelte er: » Sobald wir da vorne aus dem Schutz der Häuser raus sind, müssen wir auf der Hut sein, bis wir an der Bushaltestelle vorbei sind. Da stehen um diese Uhrzeit sämtliche Schüler.«
    Seine Mitschüler. Ob sie sich fragten, wo er war? Ob sie im Klassenzimmer eine Schweigeminute für Michelle abgehalten hatten? Wann war eigentlich ihre Beerdigung?
    Maya guckte zu Louis. » Ich weiß.«
    Er richtete seinen Blick weiterhin starr geradeaus. Was genau meinte sie damit? Dass da vorne die Bushaltestelle war? Dass dort Schüler warteten? Oder was in ihm vorging? Er räusperte sich und redete eilig weiter, um nicht an Michelles Beerdigung zu denken. Wie man nur solche Angst vor seinen eigenen Gedanken haben konnte! » Am Ende biegen wir gleich nach rechts ab.«
    Maya schwieg. Louis ging schneller. Sie folgte ihm, während er weitere Anweisungen gab. » Da vorne kommen wir auf die Hauptstraße, die aus St. Golden Richtung Sägewerk führt. Sobald wir die Kreuzung erreicht haben, nehmen wir eine Abkürzung durch den Wald und nähern uns von hinten dem Sägewerk. Da klettern wir über den Zaun, und ich versuche, ungesehen ins Hauptgebäude zu gelangen, während du Schmiere stehst.«
    Zehn Minuten später hatten sie den rettenden Wald erreicht und die Stadt hinter sich gelassen. Unter ihren Tritten knackten morsche Äste und raschelte heruntergefallenes Laub. Nach einer halben Stunde Fußmarsch durchs Unterholz erreichten sie den rückwärtigen Maschendrahtzaun, der das Grundstück des Sägewerks einfasste. Dahinter stapelten sich Latten, Paletten, Baumstämme und Holzabfälle. Es roch nach frischem Holz. Das Kreischen der Säge zerriss die kühle, klare Herbstluft. In der Nähe des Zaunes stand ein langgezogener Bretterschuppen, vor dem ein roter Pick-up mit Firmenlogo parkte. Weiter hinten stand das ehemalige Wohnhaus der Sägewerkerfamilie, in dem sich heute das Sägewerksmuseum befand. Louis stellte sich dicht an den Maschendrahtzaun heran und faltete seine Hände, sodass Maya darauf steigen konnte. » Du zuerst.«
    Maya trat vorsichtig auf Louis Hand, zog sich am Zaun hoch und ließ sich dann, geschickt wie eine Katze, auf der anderen Seite ins Laub fallen.
    Jetzt sprang Louis am Zaun hoch, hievte sich nach oben und landete gleich darauf neben Maya. Er lächelte aufmunternd. » Das hat doch schon mal gut geklappt.«
    Instinktiv griff er nach Mayas Hand und zog sie im Schutz der aufgehäuften Baumstämme hinter sich her, am rückwärtigen Schuppen entlang. Er linste durch die Bretterzwischenräume in den Schuppen hinein, in dem ein paar Sägewerker um eine Kreissäge herumstanden und einen langen Baumstamm durchjagten. Einen von ihnen erkannte er gleich. » Hallo, du Penner!«, schnaufte Louis.
    Maya sah ihn erstaunt an. » Kennst du einen davon?«
    » Ja, den Großen. Der hat mit meiner Mutter eine Nacht verbracht und sich danach nie wieder bei ihr gemeldet.«
    » Okay.« Maya schien nicht ganz zu verstehen, was Louis genau damit meinte. Vorsichtig schlichen sie weiter, bemüht, keinen Laut von sich zu geben. Solange die Säge in Betrieb war, konnten sie sich schnell bewegen. Doch sobald die Säge ruhte, war die Umgebung still, und sie mussten warten. Irgendwo über ihren Köpfen hämmerte ein Specht. Dann ging die Kreissäge wieder an. Hintereinander rannten sie geduckt über die mit Sägespänen bedeckte Freifläche, am Pick-up vorbei, hinüber zum hohen Palettenstapel. Von hier waren es nur noch ein paar

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