Der Atem der Apokalypse (German Edition)
das Netzwerk denn wirklich gar keinen Respekt vor Menschenleben? Es sah nicht so aus. Warum hatte Mr Bright dann Luke entführt? Was war so bedeutend an ihm – oder an dem, was er repräsentierte? An der Familie Jones? Wieso waren sie
besser
als die anderen Familien mit den geleerten Dateien im Erlösungsordner, die er auf dem Laptop seines Bruders gefunden hatte? Was hatte es mit ihrem Blut und dem Leuchten auf sich? Cass wusste mittlerweile, wie wichtig das Leuchten war, doch was war so besonders daran? Eine ungebetene Erinnerung versetzte ihm einen Stich: diese aufgerissenen Augen, der entsetzte Blick auf den Lauf der Pistole und sein Gedanke:
Er hat kein Leuchten.
Als sie sich in dem halbfertigen Rohbau getroffen hatten, hatte Cass dem alterslosen Mann schreiend vorgeworfen, dass er ihn reingelegt habe, doch Mr Bright hatte zurückgebrüllt:
Ich habe dich befreit.
So lautete seine Antwort, doch befreit wovon, und um was zu tun? Die Erinnerungen an jenen Tag brannten so heiß, wie die Luft kalt war. Cass nahm einen langen rebellischen Zug. Was hatten sie mit Abigail Porter, der Leibwächterin der Premierministerin gemacht, die Zeit für seine Flucht geschunden hatte? Irgendwas war mit ihren Augen passiert – er hatte ganz sicher das Universum in ihnen gesehen, obwohl er dieses Detail ausgelassen hatte, als er Freeman die Geschichte erzählt hatte. Der alte Mann sollte nicht denken, er wäre in den letzten Jahren weich in der Birne geworden.
»Es geht los.«
Cass zuckte zusammen. Er war so abgedriftet, dass er Wharton nicht gehört hatte. Er schnippte die Kippe auf den makellosen Rasen, während sein Herz bereits schneller schlug. Das Spiel war eröffnet.
Wenn Cass darüber nachgedacht hätte, wo das Treffen mit Freeman und dem Hacker stattfinden sollte, wäre er bestimmt nicht auf ein Krematorium gekommen.
»Ihr macht Witze«, murrte er, als der Wagen das Tor passierte und direkt vor der kleinen Tür zur Kapelle hielt.
»Wo können in London mehrere Autos mit getönten Scheiben innerhalb weniger Minuten vorfahren, ohne Verdacht zu erregen?« Wharton grinste stolz. »Außer in der anderen Verbrecherbude in der Downing Street natürlich.«
»Gar nicht dumm.« Cass grinste, stieg aus und folgte Wharton in die Kapelle. Dort fand ein Gottesdienst statt, doch die beiden gingen leise durch eine Seitentür zu einer schmalen Treppe, die zu den weiter oben gelegenen Büros führte. Dort wartete Osborne auf sie. Er nickte seinem Kollegen zu, der Cass die Tür aufhielt. »Dann mal rein mit Ihnen«, sagte er.
Der Raum war mit schlichten Bürostühlen und einem Tisch mit Computer nur spärlich möbliert. Ein dünner Mann in Jeans und einem Ripcurl-Pullover saß rauchend am Fenster, das einen Spaltbreit aufstand. Der Aschenbecher war schon halb voll.
»Wenn man in einem Krematorium nicht rauchen darf, wo dann?«, sagte Cass lächelnd.
Der Hacker lächelte zurück. Cass hätte einen jüngeren Mann erwartet. Dieser hier war vielleicht Anfang vierzig, mit vollem Haar, das jedoch bereits grau war. Als er sich zurücklehnte, sah er so entspannt aus, wie es nur denen gelingt, die auf ihrem Gebiet unglaublich gut sind und entsprechend verdienen.
Cass sah von ihm zu Brian Freeman und beschloss zum x-ten Mal, dass der Spruch ›Verbrechen zahlen sich nicht aus‹ totaler Schwachsinn war.
»Cass, darf ich dir Dijan Maric vorstellen, der gerade aus Rumänien gekommen ist. Dijan Maric, das ist Cassius Jones.« Freeman lächelte.
»Schön, Sie kennenzulernen«, sagte Maric. Seine Stimme war ganz lässig-sonniges Kalifornien.
»Ganz meinerseits«, sagte Cass. »Rumänien?«
»Mein zweites Zuhause – super für alles, was mit Computern zu tun hat. Ich dachte, ich nehme lieber einen Namen, der dazu passt. Es ist nicht mein eigener.« Er grinste. »Aber wie ich gehört habe, sind Sie auch nicht immer als Cass aufgetreten.«
»Könnte das sein, Charlie?« Freeman lachte.
»Manchmal braucht man eben einen anderen Namen.« Cass setzte sich auf den freien Stuhl, und die drei Männer saßen wie tratschende Frauen eng beieinander.
»Genau«, sagte Maric. »Übrigens steht noch nicht fest, ob ich für Sie arbeiten werde. Erst möchte ich ganz genau hören, was Sie wollen und Sie dabei ein bisschen kennenlernen. Dann erst treffe ich meine Entscheidung. Ich bekomme sehr viele Anfragen und nehme nur wenig an. Dafür müsste ich wissen, dass wir gleich ticken – betrachten Sie es als ein erstes Date.«
»Ganz schön teuer für
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