Der Atem der Apokalypse (German Edition)
Sie noch ganz anders aus. Sie haben deutlich abgenommen. An Ihrer Blässe und den Ringen unter den Augen sehe ich, dass Sie wenig bis gar nicht geschlafen haben. Ihre Sachen sind Ihnen mittlerweile zu groß, doch sie kaufen sich offenbar keine neuen. Das heißt, Sie gehen nicht aus, doch das Haus ist auch nicht gerade blitzsauber, wenn ich das so sagen darf. Mir fällt noch viel mehr auf, aber das reicht längst für die Diagnose, dass Sie entweder unter Angst und Verfolgungswahn oder unter Schuldgefühlen leiden – höchstwahrscheinlich unter allen zusammen. Aber wenn Sie gar nichts getan haben, wofür Sie sich schuldig fühlen sollten, wie Sie nicht müde werden zu wiederholen, dann frage ich mich doch, wovor – oder
vor wem
– Sie solche Angst haben?«
»Vorm Gefängnis.« Ein Hauch von Zögern ging diesen Worten voraus.
»Nein, das kaufe ich Ihnen nicht ab; Ihre Anwälte betonen ständig, dass die Studenten sich erst umbrachten, nachdem sie Ihre Klinik schon wochenlang nicht mehr betreten hatten. Und trotz der Verbindungen untereinander gibt es nur Indizienbeweise dafür, dass Ihre Phobientherapie etwas damit zu tun hatte. Jeder weiß, dass sie sich selbst getötet haben, und ohne endgültige Beweise wird es dem Richter schwerfallen, Sie zu verurteilen. Er wird Ihnen zwei, höchstens drei Jahre in einem unserer gemütlicheren Gefängnisse aufbrummen. Für einen Mann, dem auch die Todesstrafe hätte drohen können oder zumindest lebenslang, muss sich das wie ein Spaziergang anfühlen. Finanziell geht es Ihnen sicher nicht schlecht und selbst, wenn Sie nie wieder arbeiten sollten, werden Sie diese Zeit überleben und sich nachher wieder ein schönes Leben machen. Über kurz oder lang gerät dann alles in Vergessenheit.« Hask hatte leise und freundlich gesprochen. »Nichts von alledem erklärt so viel Angst. Vielleicht können wir Ihnen ja helfen, wenn Sie uns sagen, wovor Sie sich so sehr fürchten.«
Shearman schnaubte ein unschönes schluckaufartiges Lachen. »
Sie
können mich nicht beschützen – das hat Jones mir zumindest gesagt.«
»Sie haben Angst, dass Cass Jones Sie drankriegt?«, fragte Ramsey.
»Nein.«
Eine lange Pause entstand.
»Mr Bright?«, fragte Hask.
Shearmans Augen glitzerten, als ihm die Tränen kamen. Er würde nicht wirklich weinen, doch er war kurz davor.
Erwischt
, dachte Hask, wäre wohl das richtige Wort – der Mann sah aus, als säße er in der Falle.
»Ich sage nichts.«
»Wir können Ihnen nicht helfen, wenn Sie uns nichts erzählen.«
Shearman starrte Ramsey an, als würde er etwas erwägen, und einen Augenblick lang dachte Hask, er würde gleich zusammenbrechen und endlich anfangen zu reden, doch dann straffte er die Schultern und stand auf. »Ich möchte Sie jetzt bitten zu gehen«, sagte er. »Sonst rufe ich meinen Anwalt.« Der Augenblick war vorbei.
»Und?«
Sie waren zum Ende der Straße gefahren und hatten angehalten, damit Ramsey Perry Jordan anrufen und um die gewünschte Information bitten konnte. Ramsey klappte sein Handy wieder zu.
»Letzten Endes steht Die Bank hinter Flush5, die wiederum Shearmans Klinik besitzen. Aber er sagt, das findet man nur unter großen Schwierigkeiten heraus. Ein wahrer Rattenschwanz von Unternehmen steht zwischen den beiden. Er hat gesagt, Jones habe ihn gewarnt, hinsichtlich Der Bank zu tief zu bohren, aber es gebe eine ganze Menge Gründe, warum er es sehr gern tun würde. Das wundert mich nicht. Scheiß Institutionen kann man einfach nicht trauen.«
Hask starrte mit knurrendem Magen nach vorn. »Noch mal im Klartext: Aus Shearmans Reaktion schließen wir, dass er den geheimnisvollen Mr Bright kennt. Adam Bradley kannte ihn auch. Wenn wir Cass’ Bericht über das Telefongespräch glauben – und warum sollten wir das nicht tun? –, kannte Solomon, der Fliegenmann, ihn auch sehr gut. Solomon hat für Die Bank gearbeitet, oder?«
»Ja. Genau wie Christian Jones – ein Headhunter hat ihn 2010 verpflichtet, also musste er verdammt gut in seinem Job sein.«
»Vielleicht sollten wir in alles, was von Der Bank kommt, nicht zu viel hineingeheimnissen. Schließlich hat Die Bank mittlerweile auf der ganzen Welt ihre Finger im Spiel.«
»Das war’s aber noch nicht«, sagte Ramsey und ließ den Motor wieder an. »Ich habe immer noch Jones’ E-Mails auf meinem Computer – die musste ich mir alle ansehen, nachdem er verschwunden war. Letzte Nacht habe ich sie noch mal hervorgekramt, aus reiner Neugier. Dann habe ich
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