Der Atem der Apokalypse (German Edition)
blassblaues Leuchten drang durch die großen Fenster von draußen herein, wo es vor Leben nur so wimmelte, dass es in der Stadt nie richtig dunkel wurde.
Er warf einen kurzen Blick zurück auf die geschlossene Tür des benachbarten Arbeitszimmers. Auf der Plakette stand immer noch MR SOLOMON , obwohl er sich schon wiederholt vorgenommen hatte, sie abzunehmen. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er sich an den Schreibtisch seines alten Freundes setzen sollte, entschied sich jedoch dagegen; die Erinnerung an das helle, strahlende Lächeln würde ihn melancholisch machen, und für dieses Gefühl war es der falsche Zeitpunkt. Er durfte sich keine Schwäche erlauben.
Er ging zu dem Fenster, das vom Fußboden bis zur hohen Decke reichte, und blickte hinaus auf alles und nichts. DeVore würde ihm gleich die Spiegelungen schicken, doch er brauchte sie eigentlich nicht zu sehen – er
wollte
sie nicht einmal sehen. Wenn
Er
wirklich kam, würde diese Welt vollständig zerstört werden.
Er
kannte keine Gnade.
Mr Bright seufzte und zwang sich, nicht mehr an die möglicherweise oder wahrscheinlich bevorstehende Vernichtung all dessen zu denken, was er aufgebaut hatte. Im Moment gab es Dringenderes zu erledigen. Es lag in ihrer Art, dass es ständig Rätsel und Betrügereien gab, und da sie dieses Muster an
sie
weitergegeben hatten, ging es immer im Zickzack. Daraus schloss er gegen 3.15 Uhr morgens, dass es auch mit dieser Spiegelung nicht unkompliziert zugehen würde. Wenn
Er
auf die Art und Weise käme, die von den Interventionisten vorhergesehen wurde, warum hatte er dann eine Gesandte geschickt? Wieso wollte er mit ihnen reden?
Er
war viel zu arrogant anzunehmen, dass sie eine Methode entwickelt haben könnten, gegen viele ihrer eigenen Art anzutreten, selbst wenn sie solche Fähigkeiten hätten, die nicht gleich die ganze Erde in den Abgrund reißen würden.
Die Antwort lag auf der Hand: Es hatte etwas mit dem Ersten zu tun. Selbstverständlich würde
Er
den Ersten retten – möglicherweise sogar Mr Bright, aber nur um ihn nach Hause zu schleppen und bis in alle Ewigkeit zu demütigen, ehe er ihn schließlich vernichtete. Nein, so würde die Geschichte nicht ausgehen. Mr Bright hatte diesen Ort aufgebaut und würde ihn nicht verlassen. Er war jetzt hier zu Hause. Vielleicht hatte
Er
eine Gesandte geschickt, um den Ersten noch vor dem Angriff zu finden – das würde passen. Doch wenn es so war, warum hatte der Erste es ihm dann nicht erzählt? Die Gesandte würde auf die altbekannte Weise nach ihm rufen – war der Erste wirklich zu schwach, um sie zu hören?
Mr Bright dachte an den alten Mann und den Jungen. Obwohl alles grundsätzlich gut verlaufen war, gab es noch etwas, das ihn störte. Nach reiflicher Überlegung kam er zu dem Schluss, dass es die Unterhaltung mit dem Ersten gewesen war, als er Jarrod Pretorius erwähnt und mit übertriebener Überraschung auf die Neuigkeit mit der Gesandten reagiert hatte. Während er immer frustrierter wurde, spürte Mr Bright, wie er
leuchtete
und seine Sinne schärfer wurden. Die Uhr tickte zu laut, sein Herz schlug zu schnell. Irgendwo in der ruhigen Straße dort unten tuckerte ein Taxi.
Er wandte sich vom Fenster ab und ließ das
Leuchten
widerstrebend schwinden. Die Welt wurde wieder trüber und dunkler, wie seine Gedanken. Was führte sein alter Freund im Schilde? Doch nicht etwa
Verrat
? Das konnte er sich wirklich nicht vorstellen – er weigerte sich, es zu glauben, nach allem, was sie hinter sich hatten. Doch DeVores letzte Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf: Wie konnte ein erfundener Mythos Wirklichkeit werden?
Das ist die Apokalypse
, sagte er.
Es ist so weit.
Auf der Treppe musste Mr Bright zu seiner Überraschung an Cassius Jones denken, den Joker. Er legte sich ins Bett, schloss die Augen und versuchte zu schlafen. Schon möglich, dass
Er
kam, aber in diesem Spiel gab es noch einige Spielzüge, die gemacht werden konnten. Und Mr Bright hatte gelernt, wie man dieses Spiel erfolgreich spielte.
22
Der Dezembermorgen war klar und sonnig, doch in Dr. Richard Shearmans Haus war davon nichts zu sehen. Die Vorhänge waren zugezogen und die schmalen Lichtstrahlen, die dennoch durch die Ritzen drangen, beleuchteten Hunderte von Staubpartikel in der Luft. Hask setzte sich aufs Sofa und Ramsey nahm neben ihm Platz. Shearman hatte Schweißflecken unter den Achseln und spielte mit seinen Händen – für einen Mann, dessen Anklage bereits stand, war er
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