Der Atem der Apokalypse (German Edition)
midwinter, frosty wind made moan. Earth was hard as iron, water like a stone.
Musik und Text gingen aufeinander ein, und obwohl das Lied verglichen mit den heimischen Trompetern rau klang, strahlte es eine ehrliche Schönheit aus. Einen Augenblick lang dachte sie sogar, dass
er
sie damals zu hart verurteilt hätte. Wenn
er
sie selbst sehen würde …
Sie führte den Gedanken nicht zu Ende.
Er
würde nichts sehen, wenn
er
sich bereits entschieden hatte. Für ihn wäre es Verrat, und Vergebung lag nicht in seiner Natur.
Sie spürte die Wärme des alten Mannes hinter sich. Auch ihn hatte die Musik zum Fenster gelockt, und eine Weile standen sie da und blickten auf diese faszinierende Welt hinunter. Spiegelbilder, die sie nicht erkannten, starrten wie gefangene Geister durch die Scheibe zurück. Sie schaute daran vorbei, während die Sonne Schatten durch die Hausdächer schnitt und unten auf die Straße warf.
»Warum macht mich die Vorstellung, dass das alles zerstört wird, traurig?«, fragte er schließlich. Ihr Spiegelbild lächelte ihn an. Ihr Schweigen sollte ihre Antwort sein. Die Traurigkeit, die auch sie empfand, war weder hier noch da; man musste tun, was getan werden musste; es war
sein
Wille. Wenigstens hatten sie es in all seiner Pracht und Herrlichkeit gesehen.
*
Mr Craven hatte es aufgegeben, sein Wort weiterverbreiten zu wollen. Er hatte nicht etwa eine Erleuchtung hinsichtlich seiner Schreckenstaten und litt auch nicht unter Schuldgefühlen. Im Gegenteil, am liebsten hätte er sie alle einzeln angesteckt. Allmählich hasste er sie dafür, dass sie weiterleben konnten. Was seine eigene Art anging, so hatte er sich in seinen Fieberträumen vorgestellt, dass sie schwere Leiden ertrugen, während er sich ruhmreich über sie erhob und heimkehrte. Doch wenn er aufwachte, war es mit der Freude seiner Träume vorbei, weil er sich in seinem kleinen Körper wiederfand, der ihm immer mehr den Dienst versagte.
Er hatte aufgehört, sein Wort zu verbreiten, weil er sich nicht mehr unauffällig bewegen konnte. Die Krankheit hatte von ihm Besitz ergriffen und machte kurzen Prozess. Seine Anziehsachen schlotterten an seinem zerrütteten Körper und er musste neue Löcher in seinen Gürtel brennen. Mr Craven hatte versucht, sich neu einzukleiden, mit kleineren Größen, damit er noch halbwegs respektabel aussah, doch die Schneider auf der Savile Row hatten ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen und angewidert vor sich hin gemurmelt. Er hatte erwogen, sich mit den Weihnachtseinkäufern in die billigen Outlets in der City zu drängeln, doch wo er auch auftauchte, gingen ihm die Menschen so offensichtlich aus dem Weg, dass sie in überfüllte Gassen eilten oder auf die Straße hinausliefen, um nur ja nicht dieselbe Luft zu atmen wie er. Niemand entlarvte ihn als »Todesengel« – jedenfalls nicht als den aus der Zeitung –, doch alle merkten, dass er vom Tod gezeichnet war, dass die Krankheit ihn zerstörte.
Daraufhin hatte er rasch aufgegeben. Auch in neuen Sachen würde er nicht mehr verbergen können, was der Virus aus ihm gemacht hatte, wenngleich er wenigstens nicht jedes Mal darauf gestoßen würde, wenn er sich anzog. Nicht dass er Lust hätte, sich je wieder auszuziehen. Sein Fünfsternehotel hatte ihn am Vorabend gebeten, auszuziehen, nachdem er ausgerechnet in dem Moment einen schrecklichen blutigen Hustenanfall erlitten hatte, als der junge Mann vom Zimmerservice sein Abendessen brachte. Er hatte das Entsetzen im Blick des jungen Mannes gesehen und ihn mit fleckigen Zähnen angelächelt, obwohl es ihn beinahe zerriss, als er nach Luft rang.
Komischerweise hatte der Kellner das Trinkgeld nicht abgewartet, und fünf Minuten später rief der Hotelmanager bei Mr Craven an. Er habe gehört, der Herr sei krank, man habe sich die Freiheit genommen, einen Krankenwagen zu rufen. Selbstverständlich müsse er für das Zimmer nichts bezahlen, doch wenn der Herr sein Gepäck bitte mitnehmen wolle …?
Mr Craven hatte das schweigend zur Kenntnis genommen und war dann einfach gegangen, ohne das Essen auch nur anzurühren. Er hatte ohnehin keinen Hunger.
Doch jetzt war er erstaunlich hungrig, obwohl sich im Laufe der Nacht auf seinem Zahnfleisch und im Hals eklige Geschwüre gebildet hatten. Er hatte sich schließlich in einem schäbigen Bed & Breakfast nahe King’s Cross einquartiert, die ihre Zimmer nicht nur stundenweise, sondern sogar für noch geringere Zeitspannen vermieteten. Er hatte mehr bezahlen müssen,
Weitere Kostenlose Bücher