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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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aus gesehen, eine fein gestrichelte graue Szenerie mit Hausdächern, den Blumen von Faisal; mir fällt der herrliche Eintopf im Gasthaus ein und das Mädchen, das auf der Treppe sitzt. Er reicht das Bild Dan. Es ist nicht groß, nur zehn oder zwölf Zentimeter im Quadrat, aber groß genug. Dan faltet es sehr sorgfältig und genau und zerreißt es in acht kleine Quadrate.
    »So«, sagte er und legt sie nebeneinander. »Wir markieren zwei.«
    Flecken setzt er darauf. Da liegen sie, acht kleine Fetzen Papier, und wir schauen sie an. Kein Lufthauch, der sie bewegen würde.
    »Bald geht die Sonne unter«, sagt Skip mit einem leisen Schluchzer.
    »Alles gut, Skip«, sagt Dan und blickt ihn an. »Du musst das nicht tun, wenn du nicht möchtest. Niemand muss das.«
    »Doch, wir«, erwidert er, immer noch lächelnd, langt nach unten und faltet die kleinen Quadrate, eines nach dem anderen, in kleinere und dann in noch kleinere und schließlich in so wundersam winzige, dass wir alle lachen. »Wo sollen wir sie reintun?«, fragt er.
    »Wir müssen es immer noch nicht machen«, sagt Dan. Wir haben keine Mützen mehr, also benutzen wir den Blechbecher. Er wischt ihn mit der Faust sauber. Ich kann nicht schlucken. Alles wieder ausgetrocknet. Skip und ich legten die winzigen gefalteten Papierchen in den Becher, und dann stand der Becher wie der Heilige Gral in unserer Mitte, und wir huldigten ihm. Dieser Augenblick. Das Leben erzitterte darin, klar wie ein Regentrop
fen. Unsere Augen, unser aller Augen, begegneten einander, sahen sich in denen der anderen gespiegelt.
    »Sind alle einverstanden?« Tim nahm den Becher hoch, deckte ihn mit der Hand ab und schüttelte ihn heftig, hörte plötzlich auf. »Das ist falsch«, sagte er, »so vermasseln wir es. Wir hätten vier reintun sollen. Jetzt sind alle durcheinander, und womöglich zieht keiner einen.«
    Ich war jenseits von Gut und Böse, verstand kein Wort von dem, was er sagte. »Oh, mach es einfach«, sagte ich.
    »Sind alle einverstanden?«
    »Fang verdammt nochmal endlich an!«
    »Dan?«
    Er nickt. Ja, wir nicken alle. Wer fängt an? Es ist zu blöd, wir haben es nicht vorher festgelegt, keiner weiß, wer anfangen soll, aber dann sagt Tim, es ist egal, wir öffnen sie alle gemeinsam.
    »Wie Weihnachtsgeschenke«, sagt Dan.
    »Genau.«
    Wir lachen.
    »Es geht nach dem Alter«, sagt Dan. »Erst du, Jaff, dann du, Skip, dann Tim, dann ich. Keiner öffnet seinen Zettel, ehe wir alle einen haben. Einverstanden?«
    Nicken.
     
    Es war Tim. Tim zog das schlimme Los. Wir anderen zogen Nieten. Er blickte nur kurz darauf. »Ich bin es«, sagte er und lachte und schrie und weinte gleichzeitig und warf den gekennzeichneten Zettel in die Mitte. »Scheiße Scheiße Scheiße, Jungs, ich bin es.«
    »Du musst es nicht tun, Tim«, sagte Dan weinend, »wirklich nicht.«
    »Nein! Nein, nein, nein!«, sagte Tim, »ich tu es, ich tu es.«
    »Nein, du tust es nicht.«
    Wir sagten nichts, Skip und ich. Nach dem Auseinanderfalten.
    »Wir haben alle zugestimmt«, sagte Tim.
    Dan weinte. Er hörte immer wieder auf und fing wieder an. »Das können wir nicht machen«, brachte er mühsam hervor. Er hustete und hustete, und seine Augen tränten wie wahnsinnig.
    »Es ist in Ordnung«, sagte Tim. »Alle waren einverstanden. Nächstes Los. Ihr drei.«
    »Das können wir nicht.«
    »Macht weiter, bitte.«
    »Zieht das nächste, Herrgott nochmal! Alle haben zugestimmt!«
    »Allmächtiger.« Dan stieß eine seltsam wilde Art von Geheul aus und verdrehte Hände und Arme auf so sonderbare Weise, dass er wirklich verrückt aussah.
    »Oh, Herrgott nochmal!«, sagte Tim, nahm den Becher hoch, schüttelte ihn und stellte ihn wieder hin.
    »Hier, nimm eins.« Er schob ihn mir unter die Nase.
    Ich nahm eins. Dann Skip. Dann Dan.
    »Jetzt öffnet sie«, sagte er.
    Ich war es.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Tim begann zu weinen, nur ein Tränenschwall und ein bestimmter Ausdruck in seinen Augen.
    »Ich kann nicht«, sagte ich.
    »Oh, Jaff«, sagte er, »du hast den schlimmsten Teil erwischt.« Aber er lächelte.
    »Ich ertrage das nicht«, sagte Dan. »Wir müssen hier aufhören.«
    »Nein. Mach es schnell. Jetzt, Jaff.« Tim versuchte, mir die Pistole hinzuschieben, aber ich wich schaudernd zurück. Mir wurde schlecht.
    »Mir ist es egal«, sagte Tim, »mir ist es sowieso egal. Ich sehe keinen Sinn mehr darin, hier weiter rumzuhängen. Los, mach.« Ich sah ihm tief in die Augen. Sie tanzten, amüsiert, Tränen vergrößerten

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