Der Atem der Welt
Manchmal blies der Wind, und wir wurden umhergeworfen. Meine Geschwüre führten ein Eigenleben, Salz brannte heiß und weiß. Raureif bildete sich um ihre Spitzen. Dan redete mit seiner Frau. »Alice«, sagte er. »Wann schneidest du mir die Haare?« Und: »Meinst du, wir sollten wieder nach Putney ziehen, Al?«
Und eines Morgens war Kapitän Proctors Boot weg.
Das Meer war leer. Wir vier schauten und schauten und sagten nichts. Es war eine sehr windige Nacht gewesen. Ein starker Atem hatte sie fortgeblasen.
Wir vier trieben übers Meer. Sangen. Die Arme umeinander gelegt, alles nette Jungs. Tim, Dan, Skip und ich. Wenn Sturm drohte, kauerten wir uns aneinander, benutzten unsere Rücken als Zelt, das unsere Gesichter innen schützte, atmeten unseren gemeinsamen Atem, sauer, salzig, gallig. Wir hatten immer noch etwas Fleisch, aber wir hatten kein Feuer. Wir hatten Rippen. Nachdem das Fleisch zu Ende war, hatten wir immer noch etwas Zwieback und hin und wieder ein bisschen Wasser. Aber du kannst nicht immer singen. Die Stimme hört einfach auf. Du öffnest den Mund, und es funktioniert nicht. Ein leises, keuchendes Zischen, instabil wie ein Tautropfen, das ist alles, und keiner hört es, wegen des mächtigeren salzigen Meeresrauschens. Deine Stimme hört auf, und dein Gehirn läuft oben aus deinem
Kopf hinaus, und du erhebst dich sehr hoch in die Lüfte und siehst von oben den geschwungenen Rand der Welt, blau blau blau, so weit das Auge sieht. Eines von Ishbels alten Liedern geht dir im Kopf herum, die Meerjungfrau mit Kamm und Spiegel in der Hand, Hand, Hand, mit Kamm und Spiegel in der Hand, und ihr Gesicht erscheint, ein runder, bleicher Mond, sehr feierlich, und dazu kommt das Geräusch eines Messers, das auf Knochen trifft oder auf eine harte Sehne oder sonst etwas, ich hatte nichts damit zu tun, mit gar nichts von alledem, ich war weit, weit weg, hoch über den Wolken. Ihr Gesicht war das Messer, das schnitt. Ihr Gesicht, was immer es sein mochte, war das, worin ich war und wo ich nicht herauskam, was immer es sein mochte. Am Ende würde da eine gerade Linie sein, die sich endlos in beide Richtungen erstreckte, und das würde das Ende des Meeres sein und der Rand des letzten Wasserfalls, ein Sturz ins weiße Nichts, die aufsteigende Gischt träfe dich, lange bevor du irgendetwas vom donnernden Aufprall unten bemerktest. Dorthin trieben wir, jeder von uns flog hoch hinauf und kehrte stets wieder in seine Augen zurück und sah, was er da vor sich hatte, uns, die wir einander anschauten. Wortlos fassten wir uns alle an den Händen, bereit für den Sturz.
Eines Morgens wachte ich auf, und meine Zunge hing aus meinem Mund. Sie hatte sich in ein Geschöpf verwandelt, das ich nicht kannte, träge und fett, geschwollen und nässend arbeitete sie sich durch die schlaffe Höhle meines Mundes ihren Weg hinaus ins Freie. Ich musste wegen meiner eigenen Zunge würgen, was mir die Tränen in die Augen trieb, die ich dankbar trank. Das war, glaube ich, auch der Moment, als ich Skips Dämon sah, ein grinsendes Wesen mit gespaltenen Hufen, das wie ein Schatten am Himmel hing und mich mit hellen, intelligenten Augen voller Bosheit von der Seite her ansah. Der Himmel war dunkel, ein Morgen mit ziehenden schwarzen Wolken, ein Zittern da oben, stöhnende See. Ich sah ihn. Ich blickte zu Skip,
aber er war verrückt, saß da und grinste selbst wie sein Dämon und machte mir Angst mit seinem finsteren Blick. Sein Gesicht hatte sich völlig verändert. Die Augen standen qualvoll hervor, große glotzende Kugeln über den scharfen Linien seiner Knochen. Als ich wieder hinschaute, war der Dämon weg.
Ich bat um Wasser. Das heißt, ich zeigte auf meinen Mund und machte ein Geräusch mit meiner Kehle, eine Art Bellen. Aber Dan sagte:
»Noch nicht.«
Was dann folgte, war ein Wutanfall der Seele, innerlich und vollkommen stumm. Das ist ungerecht, schrie ich. Das ist ungerecht! Ich hab nichts Böses getan!
Schließlich bekam ich ein bisschen Wasser, genug, um meine fette Zunge zu befeuchten. Dan ließ es aus einem Becher auf meine Zunge tröpfeln. »Los, komm, Jaff«, sagte er, »Kopf hoch, Junge.«
Wasser. Für eine kurze Weile konnten wir wieder sprechen.
»Das ist doch lächerlich«, sagte Tim.
»Ich will nach Hause.« Skip umarmte sich selbst.
Zu Hause. Hoffnung. Mama geht es gut. Das sollte es auch, Charley Grant ist ein guter Kerl. Zu Hause, Mama, Ishbel, werd nie zurückkehren, nie nach Hause kommen, nie mehr. Eine
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