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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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brennende Stelle in meiner Brust. Etwas, woran ich mich gegen das Entsetzliche festhalten kann, eine Decke. Ich bin lebendig, brenne lichterloh, und mein Kopf ist voll von all dem, was jemals gewesen ist, unser Heim in Bermondsey, der Highway, der Tiger, die Vögel, der Geruch nach Zitronensorbet.
    Die Nacht kam, dunkler als die meisten.
    Am Morgen tranken wir wieder und aßen einen winzigen Krümel. Dan zeigte uns, was noch an Nahrung da war: ein Stück Schiffszwieback von der Größe einer Streichholzschachtel. Wir lachten darüber. »Das ist läppisch«, sagte Tim in einem Ton sanfter Verzweiflung. »Genug ist genug. Sieh uns doch an.«
    »Ach, Jungs«, sagte Dan, »immerhin atmen wir noch.«
    Wir vier fassten uns an den Händen. Skip sah noch immer so glotzäugig aus, und seine Zunge klemmte zwischen den Zähnen. Dan war ein buckliges braunes, ledriges Wesen, glänzend wie eine polierte Götzenfigur in Jamrachs Laden. Weiß der Himmel, wie ich aussah, und Tim war ein knochiger brauner Kobold mit großen blauen Augen und weißen Haaren, die sein Gesicht umrahmten. Lächelte. »Es hat keinen Zweck«, sagte er, »so kann es nicht weitergehen. So nicht.«
    Dan sagte: »Es wird etwas geschehen.«
    »Bitte nicht, bitte sag das nicht.« Skip, mit Stielaugen.
    Glotz mich nicht so stieläugig an, hätte ich gesagt, wenn ich gekonnt hätte. Seine Hand in meiner war spitzig, verwandelte sich in Knochen.
    »Hilf mir«, sagte er.
    »Ja, ja«, sagte Dan.
    »Hilf mir.«
    »Skip, es ist . . .«
    »Hilf mir hilf mir hilf mir . . .«
    Seine Knochen knirschten, und ich sah hinunter auf seine Hand, die meine quetschte, unsere Knochen vereint.
    Das Meer schleuderte uns hoch. Der Himmel war schlammfarben, aber weiß an den Rändern. Ich fror. Ich sah im Geiste ein Feuer, ein Feuer, das irgendwo in einem braunen Mief flackerte, ein Haus, warm.
    »Haltet euch fest«, sagte Dan. »Haltet euch gut fest, Jungs.«
    »Bitte«, flehte Skip.
    »Auslosen«, sagte Tim.
    »Wovon redest du?«
    »Das weißt du.«
    »Nein.«
    »Du weißt genau, wovon ich rede. So macht man das.«
    »Nein nein.«
    »Einzige Möglichkeit. Das weißt du.«
    »Nein.«
    »Ist aber vernünftig.«
    Skip an meiner einen Seite, Tim an der anderen. Skip drückte zu wie ein Wahnsinniger.
    »Was ist los?«, flüsterte er.
    »Nichts«, sagte Dan. »Haltet euch fest.«
    Tim lachte. »Es hat einen Namen«, sagte er.
    »Du meinst Lose«, sagte Skip. »Strohhalme.«
    »Irgendwas müssen wir machen.«
    »Noch nicht.«
    »So ist es Brauch auf See«, sagte Tim. »Das weißt du doch. So hat man es von jeher gemacht.«
    »Wo sie wohl sind?«, sagte ich.
    »Wer?«
    »Simon. Der Kapitän.«
    Keine Antwort.
    »Ich denke, es kommt doch noch ein Schiff.« Dan gab einfach nicht auf.
    »Für einige zu spät«, habe ich, vielleicht, gesagt. Gedacht auf jeden Fall.
    »Es könnte jeden Moment auf uns zuhalten.« Er blickte bekümmert hoch.
    »Oder auch nicht«, sagte Tim und grinste. Seine Zähne bluteten, und in seinen Augen standen Tränen. »Lasst es uns machen. Bevor wir alle verrückt werden. Wir sind sowieso tot, wenn wir es nicht tun.«
    Skips Zähne klapperten laut in meinem Ohr. »Oh Scheiße«, stöhnte er mit einer grauenhaft tiefen Stimme, die überhaupt nicht nach ihm klang.
    »Jeder von uns das gleiche –«
    »Oh Gott«, sagte Dan.
    »– Los –«
    »Es wird nie ein Schiff kommen«, sagte Skip düster, »niemals.«
    »Ich halte das nicht mehr aus«, sagte ich, »ich bin auf Tims Seite.«
    »Wartet!«, schrie Dan. »Nur noch einen Tag.«
    »Was bringt das denn!« Tim brachte etwas wie ein Lachen heraus, mit hoher Stimme.
    »Nur noch einen Tag.«
    »Wieso hast du eigentlich die Pistole? Sind wir nicht alle gleich?«
    Dan legte den Kopf in die Hände. Der Horizont stieg in die Höhe und fiel hinunter. Stieg in die Höhe. Eine Ewigkeit lang passierte nichts, nur Skips Augen quollen immer weiter und immer grässlicher hervor. »Da sind Dämonen«, sagte er und packte mich noch fester. Ich entwand ihm meine Hand und schlug ihn. Tim legte seine Arme um mich, beide Arme. Er war um einiges größer als ich, und ich hatte ein komisches Gefühl, das ich nicht erklären kann, fast so, als wäre er meine Mutter oder so ähnlich. Ich wollte jetzt nicht weinerlich werden, das wäre zu schrecklich, also schob ich es ganz weit weg.
    »Gott, schick ein Schiff«, sagte Dan.
    Was albern war, weil auf die eine und die andere Weise so viele Gebete in diesem Boot gesprochen worden waren, dass

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