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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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Refrain: Vergeht, ihr blutroten Rosen, vergeht. Oh – und jetzt ein großes betrunkenes Aufheulen – ihr Nelken und Sträußchen – vergeht, ihr blutroten Rosen, vergeht .
    Und nur weil ich neben ihm saß, bemerkte ich als Einziger, wie Skip seinen Zinnbecher plötzlich mit einem Knall absetzte, sich mit den Armen umfasste und hin und her schaukelte.
    »Was ist los?«
    Ohne meine Frage zu beantworten, stand er auf, ging an die Reling und starrte zu unserem Schiff hinüber. Irgendetwas an ihm war merkwürdig, ich musste ihm folgen. »Was ist los, Skip?« Seine Augen waren weit aufgerissen. Das war seltsam. Skip hatte eigentlich kleine Augen. Er starrte die Segel an.
    »Was ist?« Ich blickte ebenfalls in die Richtung und sah nichts.
    Dann schaute er hinunter auf die schwarzen Wellen, die gegen den Rumpf der Lysander klatschten, und er schluckte hörbar.
    »Ist dir schlecht, Skip?«
    Er bleckte die Zähne wie ein Hund.
    »Siehst du sie?«, fragte er.
    »Wen?«
    »Schlangen.« Er zitterte.
    Ich blickte aufs Meer, das ganz normale Meer, und zu unserem Schiff hinüber, das genauso war wie immer. »Ich weiß nicht, wovon du redest.« Ich überlegte, ob ich jemandem Bescheid sagen sollte.
    »Natürlich weißt du nicht, wovon ich rede.« Er seufzte, müde und ungeduldig zugleich. Seine Hände auf der Reling zitterten. Es war eine herrliche Nacht. Der Gesang wurde melancholisch, und die Lichter warfen ihren Schein weit über das Wasser.
    »Dreh jetzt um Himmels willen nicht durch, Skip«, bat ich.
    Er lächelte. »Alles in Ordnung«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wichtig. Da ist nur etwas.«
    »Was redest du da?«
    »Nichts.« Er lachte, drehte den Kopf und sah mich an. Seine Augen waren immer noch zu groß.
    »Skip«, sagte ich, »siehst du da unten wirklich irgendwelche Sachen?«
    Er nickte traurig, richtete seinen Blick wieder aufs Meer und
bleckte erneut die Zähne auf diese merkwürdig hündische Weise.
    »Ich sehe aber nichts«, erklärte ich überflüssigerweise, und beide standen wir eine Weile da und starrten wie hypnotisiert in die Tiefe. »Keine Angst, alles in Ordnung. Sieh dir deine Hände an.« Ich versuchte, seine eine Hand von der Reling zu lösen. »Das Meer spielt einem Streiche. Und wenn der Mond scheint, ist es noch schlimmer. Der macht komische Sachen mit den Augen.«
    »Schlangen aus dem Meer«, sagte er, aber seine Hände lösten sich, und er ließ die Arme hängen.
    »Sag mal, wenn dich das bisschen Mond auf dem Wasser schon zu Tode erschreckt«, meinte ich, »was machst du dann erst, wenn wir ins Drachenland kommen?«
    »Das ist was anderes.«
    »Wieso?«
    »Weil das real ist. Ich habe keine Angst vor dem, was real ist.«
    Er kehrte der Reling den Rücken, und ich sah, dass seine Augen schmal wie immer waren. »Weg sind sie«, sagte er. »Wieder im Meer verschwunden.«
    Normal, jedenfalls so normal, wie es ihm überhaupt möglich war.
    »Aber die sind doch nicht real«, erinnerte ich ihn. »Das hast du selbst gesagt.«
    »Na und?« Und damit ging er einfach weg, als wäre nichts gewesen.
    Ich erzählte Gabriel davon, und der sagte: »Da gibt es ein Wort für, Jaff. Verrückt. Auf See sieht man eine Menge Leute, die verrückt sind, besonders auf einem Walfänger. Hauptsache, er macht seine Arbeit ordentlich.«
    »Gut. Aber was ist, wenn so was draußen auf einem Fangboot passiert? Wenn er eigentlich zusammen mit den anderen rudern
soll und plötzlich was sieht, was gar nicht da ist, und einfach nur in die Gegend starrt? Ich möchte dann nicht mit ihm im selben Boot sein. Glaubst du, dass er nicht ganz richtig im Kopf ist?«
    »Wenn man alle verrückten Seeleute nach Hause schicken würde, müssten die Schiffe wohl ohne Besatzung fahren«, meinte er lapidar.
    Später gab er mir jedoch einen Stups und sagte: »Pass trotzdem ein bisschen auf ihn auf.«
    Auch Dan berichtete ich von der Sache, und er sagte so ziemlich das Gleiche.
    Also passten wir ein bisschen auf Skip auf und überquerten unterdessen den Äquator. Ich dachte an Ishbel. Ich dachte an Mama. Ich dachte, dass ich ihnen bei meiner Heimkehr nichts davon erzählen könnte, niemals all dies beschreiben könnte – beschreiben, was für ein Gefühl das war, dieser endlose, leere Ozean, und nie ein Segel, nie ein Wal oder sonst irgendetwas zu sehen und dazu wir, die wir uns irgendwie zusammenrauften, und als Begleitung immerzu das Ächzen der Planken und der Geruch von Eichen- und Kiefernholz und der unangenehmere Geruch

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