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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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beugte sich zu mir herüber und sprach sehr ernst weiter. »Er sagte: ›Hoch mit dir und weg hier, du Narr von einem
Mann. Schaff deinen blutenden Arsch da raus und halt deinen verdammten dummen Mund, bevor ich ihn dir stopfe.‹ Und dann versetzte er mir einen Tritt.« Dan packte sein eigenes Handgelenk, schob die Lippe vor. »Doch ich packte ihn an seiner silbernen Fessel! Sie fühlte sich kühl an. Und schon flog er weg, hoch hinauf, mit mir im Schlepptau, und fort ging's, zurück zu meinem Schiff, und unter mir kreiselten all die Lichter der Stadt, und der Wind rauschte in meinen Ohren, und die Schiffe im Hafen kreiselten auch.« Er lehnte sich zurück, nahm sein Glas. »Und er setzte mich auf dem Achterdeck ab, sanft wie ein Blatt. ›Du kannst dich glücklich schätzen‹, sagte er. ›Das nächste Mal werf ich dich ins Meer.‹ Darauf wurde er so klein wie eine Mücke und flog davon. Und das war's.«
    Ich drehte mich zur Seite und erbrach alles auf den dreckigen Lehmboden. Ein großer warmer Schwarm dicker schwarzer Frauen umflatterte mich, herzte und beruhigte und hätschelte mich. Sie brachten mich hinaus in die kühle Nachtluft und hielten meinen Kopf. Habe ich eine Weile geschlafen? Habe ich geträumt? Die Rosen dufteten stark, wie ich mich erinnere, Rosen oder irgendwelche anderen Blumen, solche, die nachts blühen. Die Sterne leuchteten lächerlich hell, als würde der Himmel schreien. Ich lag da wie Dan in seinem Rinnstein, doch es kam kein kleiner Hund und pisste mich an. Stattdessen wiegte mich ein weicher Schoß, und ich drehte mich auf die Seite und schlief ein. Später war da wieder der Schankraum, und es gab Tanz zu klatschenden Händen und blecherner Musik, und Dan mittendrin, die Pfeife zwischen die lächelnden Lippen geklemmt, die Augen geschlossen, die Arme über dem Kopf. Noch später führte eine Hand mich auf einen Dachboden, in ein Bett – Getreidespelzen in einem Leinenbezug, die raschelten, wenn ich mich bewegte, das Gefühl von anderen schlafenden Körpern, die den niedrigen Raum um mich herum wärmten, von träumenden menschlichen Körpern und ein paar Katzen, die einen Balda
chin aus Schläfrigkeit ausspannten, fast wie das ferne leise Summen eines Wespennests unterm Dachvorsprung.
    Es war früher Morgen, als Dan mich am Arm schüttelte und aus tiefstem Schlaf riss. Wir krochen nach unten und durch den schnarchenden Raum, wo wir in der vergangenen Nacht gezecht hatten, vorbei an einem im Schlaf grunzenden schwarzen Schwein, das sich vor dem leise glimmenden Feuer ausgestreckt hatte, vorbei an zusammengerollten Katzen, zuckenden Hunden und an Hühnern, die Brust an Brust auf einem steinernen Vorsprung hockten.
     
    Jetzt hatten wir Schweine an Bord. Liefen einfach frei herum. Felix Duggan fluchte und scheuchte sie, als er das Deck schrubben musste. Silberne Bänder fielen über die Klippen. Ich blickte zurück, aber schon waren die roten Dächer nicht mehr zu sehen. Schien mir idiotisch, die Segel zu setzen, wenn doch eigentlich klar war, dass das Wetter umschlug. Die Wolken waren groß und massig, mit ein paar Dellen hier und da, die Wellen laut und kabbelig. Und kaum war das Land außer Sicht, senkte sich Nebel herab.
    »Ob wir wohl jemals einen Wal sehen?«, fragte ich Gabriel.
    »So bestimmt nicht, mein Sohn.«
    Wir standen vor der Kombüsentür, um am Duft vom Schweinebraten zu schnuppern. Wilson Pride fütterte den Hund mit Essensresten.
    »So hab ich es noch nie erlebt«, sagte ich. Gabriel lachte. Er hatte seine Seemannsmütze tief ins Gesicht gezogen. »Das ist noch gar nichts«, sagte er.
    »Denk ich mir.«
    »Hab gehört, letzte Nacht war dir ganz hübsch übel, mein Sohn.«
    »Stimmt.«
    »Dieses Inselzeug. Damit musst du aufpassen. Sieh mich an.
Muss ich mich die ganze Zeit betrinken? Nein, mein Sohn, ich nicht. Sieh mich an. Mach es wie ich, mein Sohn, und du wirst nicht schlecht damit fahren.«
    »Aber glaubst du, dass wir überhaupt mal einen Wal sehen? Irgendwann, wenn der Nebel weg ist?«
    »Klar werden wir einen Wal sehen«, erwiderte er ganz entschieden. »Dir werden die Wale noch zum Hals raushängen, und zwar lange bevor diese Spritztour hier zu Ende ist. Du wirst einen Wal sehen und sagen: Na und, ein Wal.« Er zuckte übertrieben mit den Schultern.
    »Wie viele Wale hast du schon getötet?«
    Wieder zuckte er mit den Schultern, diesmal nicht so betont. »Hunderte.«
    »Wie alt bist du, Gabriel?«
    »Vierunddreißig. Fünfunddreißig«, sagte er.
    »Und du?

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