Der Atem der Welt
einen Arm um die Schultern. »Jaff ist derjenige, welcher.«
Felix erschien mit dem Gin, und Dan hielt den Becher hoch. »Auf Jaff«, sagte er und kippte ihn hinunter.
»Willst du dich wirklich zur Ruhe setzen?«, fragte ich. Wir waren wieder auf dem Logis-Deck. Simon hatte seine Fiedel von unten geholt und stimmte sie, zupfte an den straffen, metallisch klingenden Saiten.
»Aber sicher«, erwiderte Dan fröhlich und gestikulierte leicht fahrig. »Alles muss einmal vorbei sein. Ich werde meine glanzvolle Karriere auf dem Höhepunkt meines Ruhms beenden. Mit dieser herrlichen Kreatur.«
Die Sonne war schon vor einer Stunde untergegangen, und auf dem Meer tanzten verrückte Lichtreflexe.
»Wird das nicht fast eine Art Tod sein?«, meinte Skip.
»Was?«
»Wenn Dan alles aufgibt.«
»Tod im Leben«, sagte Dan, »Leben im Tod. Ach, meine Kameraden!« Er gab wieder den komischen Schmierenkomödianten.
»Wenn man mal drüber nachdenkt«, sagte Skip, »dann tun wir nichts anderes als sterben.«
»Was redest du da, du Irrer!« Tim schubste ihn. »Wieso kannst du nie vernünftig reden?«
»Der große Gott hat zu mir gesagt, ich muss nicht vernünftig sein«, erklärte Skip. » Es muss nicht vernünftig sein. Ich muss nicht vernünftig sein.«
»Keine Sorge«, meinte Tim, »das bist du doch sowieso nie.«
»Wie lange fährst du schon zur See?«, fragte ich Dan.
»Dreiundvierzig Jahre«, sagte er, ohne zu überlegen.
Ich schaute ihn an, so weise um den Mund, das eine Auge leicht schielend, und versuchte, ihn mir als grünen Jungen, so wie wir, vorzustellen. Das war gar nicht mal schwer. Er war einer jener Menschen, die von der Wiege bis zur Bahre mehr oder weniger dieselben bleiben.
»Das ist wie bei Bingo«, sagte Skip. »Wie mit seinem alten Leben auf der Insel und seinem Leben jetzt . . .«
Simon stimmte eine träumerische Melodie an.
». . . Wie bei mir, als ich drei Jahre alt war.«
»Du redest Scheiße«, sagte Tim.
»Drei Jahre alt«, sagte Dan, setzte sich mit dem Rücken gegen ein Fass auf den Boden und streckte die Beine von sich. »Man bleibt nicht für immer drei Jahre alt. Ich möchte meine Kinder aufwachsen sehen.«
»All diese Dinge sind doch in Wirklichkeit tot. Ich damals. Und es damals«, sagte Skip.
»Du bist nicht bei Trost.«
»Er meint, dass wir wie Schlangen sind«, sagte Dan und zündete gelassen seine Pfeife an, »wir werfen eine Haut nach der anderen ab.« Bei dem Gedanken seufzte er theatralisch, zog tief an seiner Pfeife, schürzte die Lippen und blies ein paar Rauchringe.
Viel später, als ich in meine Koje torkelte, traf ich auf Gabriel und Simon.
»Hast du Skip gesehen?«, fragte Gabriel.
»Nein.«
»Er sitzt beim alten Bingo.«
»Komm mal mit«, sagte Simon. »Was hältst du davon?«
Er merkte nicht, wie wir drei ihn beobachteten. Er hockte im Schneidersitz vor der Tür zum Drachen und redete mit ihm.
»Es ist nicht nur die Dunkelheit«, sagte er, »es ist die Art, wie
dir deine Macht genommen wird. Im Grunde ist es eine Kopfsache. Trotzdem sehr schrecklich.«
Er hielt inne und summte kurz und unmelodisch vor sich hin, bevor er weiterredete. »Und für dich ist es vielleicht noch schrecklicher«, sagte er, »in dir steckt vermutlich mehr als ein dreijähriger Junge. Ich wüsste zu gerne, wie alt du bist.«
Der Drache hatte offene Augen, lag aber vollkommen still und platt auf dem Boden, den mächtigen Kopf zwischen seinen klauenbewehrten Vorderbeinen.
»Los, komm, Skip«, sagte Simon freundlich, »werd nicht wieder verrückt.«
Er wandte den Kopf. »Glaubt ja nicht, ich hätte nicht gewusst, dass ihr da seid«, sagte er. »Ich weiß alles.«
Auf der Insel Formosa nahmen wir Vorräte an Bord. Im Westen lag China, Yans Land.
»Aus welcher Gegend kommst du?«, fragte ich ihn, als wir eines Morgens an Deck unsere Kleidung flickten und zur Küste blickten. »Sind wir nahe bei deiner Heimat, Yan?«
Er schüttelte den Kopf. »Viel weiter südlich«, antwortete er, »Tsamkong.« Seine dicken schwarzen Haare waren gewachsen und teilten sich über seiner Stirn in zwei lange Hälften.
»Dann sind wir ja dran vorbeigefahren. Hättest du nicht Lust, einfach von Bord zu springen und nach Hause zurückzukehren?«
Er lächelte. Sein Gesicht war sonnenverbrannt, die Haut über den Knochen straff und glänzend.
»Noch drei Jahre, dann geh ich nach Hause«, sagte er. »Und du? Wann hörst du auf?«
»In zwei Jahren.«
»Ich komme reich nach Hause«, sagte er,
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