Der Atem der Welt
erbrach.
Ich stieß John Copper mit der Schulter an.
»Lieber Himmel«, sagte er, einen Anflug von Wahnsinn in den Augen, »lieber Gott im Himmel, wäre ich bloß wieder im schönen alten Hull.«
Wenn ich schreiben könnte, würde ich ein Lied machen. Ach,
wäre ich doch wieder . . . Viele Seemannslieder beginnen so. Ach, wäre ich doch wieder in London zurück, Ratcliffe Highway jenseits der See . . . ich weiß nicht, wie ich es formulieren würde. Mein eigenes Herzenslied. Es gibt jede Menge schöner alter Ratcliffe-Highway-Lieder, aber keines galt mir. Und während das Unwetter tagelang tobte, während es schüttete und der Wind heulte und wir uns nachts in unseren Kojen festschnallten, versuchte ich mich an einem Lied, aber ganz gelang es mir nie.
Ach, wär ich doch wieder in London zurück,
Am Ratcliffe Highway jenseits der See,
Wo ein tanzendes Mädchen mit Tralalala
Wartet oder auch nicht, oh weh.
Das gefiel mir: wartet oder auch nicht, oh weh.
Die Zeit verging, und wir waren alle blind und taub und stumm. Das Unwetter – krank. Hin und her geschleudert. Verkeilt in der Koje mit rechts und links einem Bündel. Geruch von Bilgenwasser, der aus dem Laderaum hochdampfte. Knarzende Schotten. Stickige, stinkende Luft. Schwere Brecher längsseits. Eimer, Holzklötze, alles Mögliche rollte auf Deck umher. Gefährlich. Zu hoher Seegang für Walfang. Und dann – schockierend plötzlich – ein strahlend heller, klarer Morgen, der gutes Segelwetter versprach. Und daraus wurde ein langer Tag mit vielen Regenbögen und eine sanfte Nacht mit leise rauschendem Regen. Danach brachten uns drei lange, wolkenlose Tage mit blendender Helligkeit in die japanischen Gründe, doch dort war nichts für uns. Eine Woche, zwei Wochen. Von den Ausgucken war nichts zu hören, dabei erfuhren wir von anderen Schiffen, dass sie viel gefangen hatten. Also segelten wir weiter nach Südosten in den Pazifik, zum Äquator und dem fernen »Offshore Ground«, jenen berühmten Fanggründen westlich von Südamerika.
Wenige Tage später brach Dunkelheit herein.
Sieben Tage Dunkelheit, wie eine biblische Plage. Während all der Zeit verweigerte die Sonne ihr Erscheinen, und tagsüber dräute aus geringer Höhe finster der Himmel, eine drückend niedrige Decke trübselig schwarzer Wolken, aus der gelegentlich von jenseits der Sterne leises Donnergrollen ertönte. Starker Seegang, kein Regen, und die Hitze war enorm. Trostlose Tage wechselten sich ab mit schwülen Nächten. Wir zogen weiter, auf der Suche nach besserem Wetter, nach Sonne, nach einem weiteren Zeitenwechsel. Der Kapitän und seine Offiziere liefen über die Decks, wir erzählten uns Geschichten, stopften alte Kleider, flickten Segel und machten sauber, und irgendetwas stimmte nicht. Der Ozean sprach mit sanft drohendem Unterton, es gab keinen Horizont, und in keiner Richtung war irgendetwas zu sehen außer lastendem Nebel. Und so oft es möglich war, legte Skip sich vor dem Drachen auf den Boden, starrte ihn an, redete mit ihm und hörte ihm zu. Hörte ihm zu, das jedenfalls behauptete er.
Er war ein vollkommener Idiot. Heute denke ich, sie hätten ihn jedes Mal, wenn sie ihn schlafend vor dem Drachenkäfig fanden, mit einem Fußtritt ins Logis befördern sollen. Es war kein strenges Schiff, das war unser Problem. Ein Schiffskamerad sollte nicht nach Lust und Laune an Deck schlafen dürfen. Welcher Kapitän würde das erlauben? Unsrer tat es. Proctor trauerte um seinen alten Samson, das süße Hündchen in seiner Tasche, damals vor zwölf Jahren in der Biskaya. Wir bekamen ihn kaum zu Gesicht. Rainey versetzte Skip hin und wieder einen halbherzigen Tritt, doch nichts störte den Nebel. Ärgerlich über die Brüllerei, kam der Kapitän einmal in seinem Nachtgewand hoch. »Ich bin heilfroh, wenn das verdammte Tier endlich mein Schiff verlässt«, sagte er, und Dan Rymer, der das Grau des Himmels im Gesicht trug und dessen Augen kalt waren, erklärte, er werde den Befehl erneuern, dass niemand außer ihm und mir in die Nähe des Drachen dürfe, so wie es früher gewesen sei. Es schien so lange her zu sein, dass dieser Befehl gegolten hatte.
Ich hätte nicht sagen können, wann es sich verändert hatte und wie wir in diese Situation geraten waren. Es war, wie Skip sagte: Die Zeit hatte sich verändert. Die Zeit hielt sich nicht mehr an Regeln. Es war wie ein Erdbeben in der Landschaft meines Kopfes, und ich wusste nicht mehr, worauf ich mich noch verlassen
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