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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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konnte sehen, daß ihr Auge geschwollen war, und sie hatte eine Platzwunde,
     die jemand behandelt hatte. Ihre Augen waren rot vom Weinen, sie ballte die Fäuste und ihre Schultern sanken herunter. Die
     farbige Frau vom Sozialamt stand auf, trat zu ihr und sagte: »Setzen Sie sich, es ist besser, wenn Sie sitzen.«
    »Ich bin Benny Griessel«, sagte er und streckte ihr die Hand hin.
    Sie schüttelte seine Hand und sagte: »Christine van Rooyen.« Er dachte, daß sie nicht aussah wie eine normale Hure. Aber dann
     roch er sie, die Mischung aus Parfüm und Schweiß; sie alle rochen so, es ließ sich nicht abwaschen.
    Aber sie sah anders aus als die, die er kannte. Er suchte nach dem Grund. Sie war groß, so groß wie er. Nicht dürr, kräftig
     gebaut. Ihre Haut war ebenmäßig, doch daran lag es nicht.
    Er sagte, er arbeitete mit Ngubane zusammen, und er wüßte, es sei eine schwierige Zeit für sie. Aber vielleicht gebe es etwas,
     was sie wisse, was ihnen helfen könne. Sie sagte, er müsse mit durchkommen, und sie ging zu einer Schiebetür und öffnete sie
     weiter. Sie führte auf einen Balkon, dort setzte sie sich auf einen weißen Plastikstuhl. Er hatte das Gefühl, daß sie sich
     von den Sozialleuten entfernen wollte, und das allein verriet ihm etwas. Er setzte sich zu ihr und fragte, wie gut sie Sangrenegra
     kannte.
    »Er war mein Kunde.« Ihm fiel die ungewöhnliche Form ihrer Augen auf. Sie erinnerten ihn an Mandeln.
    »Ein regelmäßiger Kunde?«
    Im Licht des Wohnzimmers konnte er nur ihre rechte Hand sehen. Sie lag auf der Lehne des Stuhls, die Finger in die Handfläche
     gerollt, die Nägel bissen ins Fleisch.
    |286| »Zuerst war er wie alle anderen«, sagte sie. »Nichts Ungewöhnliches. Dann erzählte er mir von den Drogen. Und als er herausfand,
     daß ich ein Kind habe …«
    »Wissen Sie, was wir in seinem Haus gefunden haben?«
    Sie nickte. »Ihr schwarzer Kollege hat angerufen.«
    »Hat Carlos Sie je irgendwo anders mit hingenommen? Andere Häuser?«
    »Nein.«
    »Haben Sie irgendeine Vorstellung, wohin er … Ihre Tochter gebracht haben könnte?«
    »Sonia«, sagte sie. »Meine Tochter heißt Sonia.«
    Ihre Finger wanderten über ihre Handfläche, die Nägel gruben tiefer. Er wollte seine Hand auf ihre legen. »Wo könnte er Sonia
     hingebracht haben?«
    Sie schüttelte den Kopf. Sie wußte es nicht. Dann sagte sie: »Ich werde sie nie wiedersehen.« Mit jener Ruhe, die nur völlige
     Verzweiflung mit sich bringt.
     
    Mitten in der Nacht fuhr er nur fünf Minuten aus Belle Ombre in seine Wohnung. Das erste, was er sah, als er das Licht anschaltete,
     war die Brandyflasche. Sie stand auf dem Frühstückstresen, als hätte sie Wache gehalten.
    Er schloß die Tür hinter sich und griff nach der Flasche, drehte sie in seinen Händen. Er betrachtete die Uhr auf dem Etikett
     und den goldbraunen Inhalt. Er stellte sich vor, wie der Alkohol seinen Körper durchdrang, die Leichtfüßigkeit, das Kribbeln
     direkt unter seiner Schädeldecke.
    Er stellte die Flasche hin, als wäre sie heilig.
    Er sollte die Flasche öffnen und den Brandy in den Ausguß schütten.
    Aber dann würde er ihn riechen und nicht widerstehen können.
    Erst mal alles unter Kontrolle bekommen. Er legte seine Hände auf den Tresen und atmete tief durch.
    Herr, heute abend war es knapp gewesen.
    Nur sein Hunger hatte ihn daran gehindert, sich zu betrinken.
    |287| Er atmete noch einmal tief durch.
    Fritz hätte ihn angerufen, um zu hören, ob er die CD mochte, und er wäre betrunken gewesen, und sein Sohn hätte es bemerkt.
     Das wäre schlimm gewesen. Er dachte an die Stimme seines Sohnes. Es war nicht nur das Interesse des Jungen daran, was er von
     der Musik hielt. Da war noch etwas anderes. Eine Sehnsucht. Ein Verlangen. Der Wunsch, Kontakt zu seinem Vater aufzunehmen.
     Eine Verbindung zu ihm einzugehen.
Wir hatten niemals einen Vater
. Sein Sohn wollte jetzt einen Vater. So sehr. Und er hatte es beinahe vermasselt. Das war knapp gewesen.
    Er tat noch einen tiefen Atemzug, dann öffnete er einen Küchenschrank. Er war leer. Er griff schnell nach der Flasche, stellte
     sie hinein und schloß die Tür. Er ging hoch. Er war nicht mehr so müde. Die zweite Luft, wenn das Gehirn so beschäftigt ist,
     daß man einfach weitermacht, wenn die Gedanken geradezu übereinander stolpern.
    Er duschte und legte sich ins Bett und schloß die Augen. Er konnte die Prostituierte vor sich sehen und er spürte, wie er
     anschwoll, und dachte:

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