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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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einer«, sagte Christine, und schon wieder drohten die Gefühle sie zu übermannen. Sie wartete einen Augenblick, bis
     sie abebbten. »Mehr als einer.«

12
    »Bist du sicher, daß er schuldig ist?« hatte er Boß Madikiza gefragt, denn aus dem Nichts schossen ihm Ideen in den Kopf,
     und sein Blut kochte.
    Der Dicke grunzte und sagte, Davids sei vor dem Besäufnis bei ihm im Büro gewesen. Angeberisch, großkotzig. Die |81| Polizei hatte sein Sperma, sie hatten alles, die DNA-Beweise, sie hätten ihn mit Hilfe ihrer Reagenzgläser und Mikroskope
     lebenslänglich wegsperren können, aber dann haben sie das Fläschchen verlegt, diese Vollidioten, und so mußte der Staatsanwalt
     zum Richter gehen und sagen:
Dyor Onner
, wir haben da ein klein wenig geschlampt, wir haben keine Dee-En-Ah mehr, wir können ihn nicht der Vergewaltigung anklagen.
     Aber hat der Richter ihn
kak an
, mein Bruder, das kannst du mir glauben.
    »Was für ein Mensch«, fragte der Boß Thobela voller Ekel, »was für ein Mensch vergewaltigt einen Säugling, das frage ich dich?«
    Er hatte nichts zu sagen.
    »Und dafür haben sie die Todesstrafe abgeschafft«, sagte der Boß und stand auf.
    Thobela verabschiedete sich und ging, er ging hinaus und setzte sich in seinen Bakkie. Er schob die Hand hinter den Sitz und
     tastete nach dem polierten Griff des Assegai. Er streichelte das Holz mit dem Daumen, hin und her, hin und her.
    Jemand mußte sagen: »So weit und nicht weiter.«
    Er strich mit dem Daumen hin und her.
    Und wartete.
     
    Als der Priester aufstand und sich auf die Schreibtischkante setzte, wußte sie, daß sich etwas zwischen ihnen verändert hatte,
     ein Graben war überbrückt. Vielleicht lag es nur daran, daß ihre Angst abgenommen hatte, die Furcht, aber sie konnte die Veränderung
     seiner Körpersprache sehen, er war entspannter.
    Sie sagte, wenn er Geduld hätte, würde sie gern die ganze Geschichte erzählen, alles. Damit er verstehen könnte. Und vielleicht
     auch, damit sie es verstehen könnte, denn das war schwierig. Sie hatte so lange geglaubt, daß sie tat, was sie tun mußte,
     daß sie keine andere Wahl hatte. Aber jetzt … war sie nicht mehr so sicher.
    |82| Lassen Sie sich Zeit, sagte er, und sein Lächeln war anders. Väterlich.
     
    Das letzte, woran Griessel sich erinnern konnte, bevor sie ihn in die Notaufnahme des Tygerberg Hospitals schafften und ihm
     irgendeinen Mist spritzten, war, daß Matt Joubert seine Hand hielt. Der Senior Superintendent, der den ganzen Weg über im
     Krankenwagen zu ihm sagte, immer und immer wieder: »Das ist bloß der Entzug, Benny, mach dir keine Sorgen. Das ist bloß das
     Delirium tremens.« Seine Stimme klang eher besorgt als beruhigend.
     
    Sie besuchte eine weiterführende Schule, um Physiotherapie zu lernen. Die ganze Familie begleitete sie an einem brüllend heißen
     Tag im Januar. Ihr Vater ließ sie alle im Hostelzimmer niederknien und betete für sie, ein langes, dramatisches Gebet, von
     dem ihm der Schweiß auf der gerunzelten Stirn ausbrach und das sich detailliert mit der Verderbtheit Bloemfonteins auseinandersetzte.
    Sie blieb auf dem Asphalt stehen, als der weiße Toyota Cressida schließlich davonfuhr. Sie fühlte sich großartig, unendlich
     frei, als könnte sie fliegen vor lauter Euphorie. »Ich hatte wirklich das Gefühl, ich könnte fliegen«, berichtete sie dem
     Priester. Bis sie sah, wie ihre Mutter zurückschaute. Zum ersten Mal konnte sie ihre Familie von außen sehen, und der Blick
     ihrer Mutter traf sie. In diesem kurzen Augenblick, einer Sekunde oder zwei, bevor die Maske wieder ihren Platz fand, konnte
     sie das Gesicht ihrer Mutter lesen – Sehnsucht, Neid und Verlangen –, als wäre auch sie gern hiergeblieben, als würde sie
     auch gern entkommen, wie es ihrer Tochter gelungen war. Das war Christines erste Erkenntnis. Zum ersten Mal begriff sie, daß
     sie nicht das einzige Opfer war.
    Sie hatte ihrer Mutter nach Semesterbeginn schreiben wollen, einen Brief voll Solidarität, Liebe und Dankbarkeit. Dann wollte
     sie es wenigstens sagen, als ihre Mutter zum ersten Mal im Studentenwohnheim anrief, um zu erfahren, wie es ihr ging. |83| Aber nie fielen ihr die richtigen Worte ein. Vielleicht fühlte sie sich schuldig – sie war entkommen, ihre Mutter nicht. Vielleicht
     lag es an der neuen Welt, die ihr nie Zeit oder Raum ließ für melancholische Gedanken. Sie wurde sofort in das studentische
     Leben aufgesaugt. Sie genoß es ungeheuer, die

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