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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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ganze Erfahrung. Flirts, Streiche, WG-Treffs, Kaffeepausen, die schönen alten
     Gebäude, die Tanzveranstaltungen, Verbindungen, Männer, die Weite der Rasenflächen auf dem Campus und die baumbewachsenen
     Alleen. Es war ein süßer Trunk, und sie trank gierig, als könnte sie nie genug davon bekommen.
    »Sie werden es mir nicht glauben, aber zehn Monate lang hatte ich keinen Geschlechtsverkehr. Ich lebte absolut enthaltsam.
     Petting, ja, es gab vier, fünf, sechs Jungs, mit denen ich herumspielte. Einmal habe ich eine ganze Nacht bei einem Medizinstudenten
     in seiner Wohnung in Park Lane verbracht, aber auch er mußte oberhalb des Gürtels bleiben. Manchmal habe ich etwas getrunken,
     aber ich habe versucht, das nur zu tun, wenn ich mit den Mädchen ausging, zur Sicherheit. In meinem ersten Jahr bin ich einmal
     bewußtlos geworden. Wir feierten eine Party im Loch Logan, und meine Mitbewohnerin mußte mich in ihrem Käfer nach Hause fahren
     und ins Bett bringen.«
    Die Briefe ihres Vaters hatten nichts mit ihrer Keuschheit zu tun – es waren lange, unzusammenhängende Predigten voller Bibel-Zitate,
     die sie später nicht einmal mehr öffnete, sondern sofort in die Mülltonne warf. Das war ihr Vertrag mit dem neuen Leben: »Ich
     wollte nichts tun, um es zu ruinieren.« Sie würde das Schicksal oder die Götter nicht herausfordern. Ihr war klar, daß dieses
     Verhalten rational nicht zu begründen war, zumal sie im Unterricht kaum mitkam, sie war immer knapp davor durchzufallen, aber
     sie hielt sich an ihren Part des Deals, und die Götter lächelten weiterhin auf sie herab.
    Und dann traf sie Viljoen.
     
    Richter Rosenstein kritisierte scharf, wie der Staat in diesem Fall versagt habe, und verwies auf zahlreiche aktuelle Zeitungsberichte,
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in denen über die dramatische Zunahme der Verbrechen Kindern gegenüber berichtet wurde.
    »Im letzten Jahr allein wurden in unserem Land 5 800 Vergewaltigungsfälle an Kindern unter 12 Jahren untersucht, und etwa
     10 000 Fälle, in denen die Kinder zwischen 11 und 17 Jahren alt waren. Auf der Halbinsel allein wurden im letzten Jahr über
     1 000 Fälle von Kindesmißbrauch angezeigt, und die Zahl steigt. Diese Statistik ist noch viel entsetzlicher, wenn man die
     Tatsache bedenkt, daß nur etwa 15 Prozent aller Verbrechen an Kindern tatsächlich angezeigt werden. Dazu kommen Morde an Kindern.
     Nicht nur geraten sie ins Kreuzfeuer der Schießereien von Gangs oder werden unschuldiges Opfer der Pädophilen, sondern sie
     sterben jetzt auch noch an dem unsinnigen Glauben, daß sie Aids heilen können« , sagte er.
    »Die Zahlen beweisen eindeutig, daß es der Gesellschaft nicht gelingt, die Kinder zu schützen. Und jetzt erweist sich der
     Staat auch noch als unfähig, wenigstens die Täter solch grauenvoller Verbrechen der Gerechtigkeit zuzuführen. Wenn sich die
     Kinder nicht mehr auf das Justizsystem verlassen können, um sie zu beschützen, wer kann ihnen dann noch helfen?«
    Thobela faltete den Artikel wieder und steckte ihn in seine Hemdtasche. Er ging hinunter zum Strand, er spürte den weichen
     Sand unter seinen Schuhen. Knapp oberhalb der weißen Brandung, die Bögen auf den Sand zeichnete, blieb er stehen, mit den
     Händen in den Taschen. Er konnte Pakamile und seine beiden Freunde im Gleichschritt über den Strand laufen sehen. Er konnte
     ihre Stimmen hören, er konnte ihre nackten Oberkörper sehen, und die Sandkörner, die wie Sternchen an einem Schokoladenhimmel
     auf ihrer Haut klebten, sie hatten die Arme ausgebreitet wie Schwingen, als ihr Schwarm in Formation knapp oberhalb der Wasserlinie
     flog. Er hatte sie am Osterwochenende nach Haga Haga an der Transkei-Küste mitgenommen. Sie hatten gezeltet und über dem offenen
     Feuer gekocht, die Jungen schwammen und fischten in kleinen Steinseen mit Leinen, die sie in den Händen hielten, und sie spielten
     Kriegsspiele in den Dünen. Er hörte ihre Stimmen bis |85| spät in der Nacht aus dem anderen Zelt, gedämpftes Kichern und Reden.
    Er zwinkerte, und der Strand war wieder leer, er war überwältigt. Zu wenig Schlaf und die Nachwehen von zu viel Adrenalin.
    Er begann, den Strand nach Norden entlangzugehen. Er suchte nach dieser vollkommenen Überzeugung, die er im Yellow Rose empfunden
     hatte, daß es ausgerechnet dies war, was er zu tun hatte, als würde ihm das Universum den Weg mit tausend Zeigefingern weisen.
     Wie vor zwanzig Jahren, als er die absolute Richtigkeit des Freiheitskampfes tief

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