Der Atem des Jägers
Cliffy rappelte sich ebenfalls auf und folgte ihm, er lief
mit großen Schritten die Rolltreppe hoch. Griessel war nach rechts abgebogen und entdeckte den Flüchtigen auf dem Weg zum
Ausgang im zweiten Stock. Der Flüchtige hörte Griessel rufen, sah sich um. Griessel konnte die Angst im Gesicht des Mannes
sehen, und dann blieb er stehen und zielte auf Griessel. Der Schuß hallte und etwas traf Cliffy, riß ihn von den Beinen und
ließ ihn gegen
Anzüge: Abend
taumeln. Er wußte, daß er irgendwo in der Brust getroffen worden war, er verwickelte sich in Hosen und Jacken, er schaute
hinunter auf das Loch in der Nähe seines Herzens. Er würde sterben, dachte Cliffy Mketsu, er war ins Herz geschossen worden.
Er durfte nicht sterben. Griessel mußte ihm helfen. Er rollte sich auf die Seite. Er fühlte sich schwer und gleichzeitig leicht.
Er schob Anzüge mit der rechten Hand zur Seite, die linke war gefühllos. Er sah Griessel den Flüchtigen anspringen. Eine Männerpuppe
in Strandklamotten fiel um. Ein grellbunter Sonnenhut flog in einem eleganten Bogen durch die Luft, ein Ständer mit T-Shirts
brach zusammen. Er sah Griessels Hand auf und ab zucken. Griessel schlug mit seiner Pistole zu. Er konnte das Blut von hier
spritzen sehen. Griessels Hand fuhr immer wieder auf und ab. Benny würde sich besser fühlen, er mußte die Wut rauslassen.
Schlag ihn, Benny, schlag ihn zusammen – der Kerl hat auf mich geschossen. |172| Thobela wartete an der Ecke Adderly/Riebeeck Street auf die Ampel, als er auf Höhe seines Ellenbogens eine Stimme hörte.
»Was gucksu so traurich?«
Ein Straßenkind stand dort, die Hände in schlanke, jungenhafte Hüften gestemmt. Zehn, elf Jahre alt?
»Sehe ich traurig aus?«
»Du siehsaus als wie die Katse ohne Mäuser. Gip mal Geld für Brott.«
»Wie heißt du?«
»Wie heis
su
?«
»Thobela.«
»Gip mal Geld für Brott, Thobela.«
»Erst sag mir deinen Namen.«
»Moses.«
»Was willst du mit dem Geld?«
»Was hab ich gesagt?«
Dann tauchte noch einer auf – kleiner, dünner, zu große Klamotten, seine Nase lief. Ohne nachzudenken, zog Thobela ein Taschentuch
heraus.
»Fünf Rand«, sagte der Kleine und streckte die Hand aus.
»Verpissdich, Randall, ich hab ihn zuers sehen.«
Er wollte Randall die Nase abwischen, aber der Junge zuckte zurück. »Fassmich nich an«, sagte der Junge.
»Ich will dir nur die Nase abwischen.«
»Warum?«
Gute Frage.
»Gipsu uns nu Geld?« fragte Moses.
»Wann habt ihr zuletzt etwas gegessen?«
»Ma übalegn, welcha Monat is denn?«
Aus der Dämmerung des späten Nachmittags tauchte ein weiteres dürres Wesen auf, ein Mädchen mit buschigem, verfilztem Haar.
Es sagte nichts, stand bloß mit ausgestreckter Hand da; mit der anderen hielt es die Aufschläge einer großen, schmutzigen
Männerjacke zusammen.
»Ach, Scheiß«, sagte Moses. »Ich hat alles im Griff.«
|173| »Seid ihr verwandt?« fragte Thobela.
»Wie soll’n
wir
das wissen?« fragte Moses, und die anderen beiden kicherten.
»Wollt ihr was essen?«
»Herrgott«, sagte Moses. »Was’n Pech. Ein verflucht saublöder Neger.«
»Du fluchst ganz schön viel.«
»Ich leb auf der Straße, gottverflucht.«
Er schaute die drei an. Dreckig, barfuß. Leuchtende Augen. »Ich geh ins
Spur
. Wollt Ihr mit?«
Sie starrten ihn an.
»Und?«
»Bissu pervers?« fragte Moses mit zusammengekniffenen Augen.
»Nein, ich bin hungrig.«
Das Mädchen stieß Moses mit einem Ellenbogen in die Rippen und machte große Augen.
»Das
Spur
schmeißt uns raus«, sagte Randall.
»Ich sag, ihr seid meine Kinder.«
Einen Augenblick lang schwiegen sie alle drei, dann lachte Moses, ein Keckern quer durch die Tonleiter. »Unser Daddy.«
Thobela ging weiter. »Kommt ihr mit?«
Es dauerte zehn oder zwölf Schritte, bis die kleine Hand des Mädchens einen Finger seiner rechten Hand umschloß, und so blieb
es bis zum
Spur
in der Strand Street.
22
»Ich dachte, ich ritzte mich wegen meines Vaters. Oder wegen Viljoen. Ich dachte, ich käme mit meinem Job klar, das wäre alles
in Ordnung. Ich bin nie darauf gekommen, daß die Arbeit mich das hat machen lassen. Damals nicht. Ich mußte erst raus.«
Carlos rief früh an, kurz nach neun, um ihr zu sagen, daß er sie die ganze Nacht buchen wollte. »Carlos will nicht über Geld |174| streiten. Dreitausend,
hokay
? Aber du mußt sexy aussehen, Conchita. Sehr sexy, wir haben eine große Party. Schwarzes Kleid, aber zeig deine
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