Der Atem des Rippers (German Edition)
eines geistig Zurückgebliebenen. Erst jetzt hat man sich zu seiner Veröffentlichung entschlossen – offenbar hatte die Polizei angeordnet, ihn zurückzuhalten.
Ein unverschämter Kerl bekennt sich zu den Morden, macht sich über den Namen „Leather Apron“ lustig, den ich zu respektieren begonnen habe, und nennt sich selbst „Jack the Ripper“. Als ich den Namen zum ersten Mal lese, weiß ich, dass die Presse und die Öffentlichkeit darauf einsteigen werden.
Der Name ist ordinär und reißerisch, ein Ausbund an Trivialität und Geschmacklosigkeit. Was ich getan habe, beginnt sich zu verselbständigen, wird zu einem Spielzeug in den Händen der Medien und der gelangweilten, frustrierten Menschen in den Straßen. Sie fangen an, sich einen Buhmann zusammenzuschustern, aus ihren eigenen Ängsten und Fantasien. Zwei Drittel der Leute dort draußen heißen Jack oder fühlen sich, als hießen sie so. Zwei Drittel träumen insgeheim davon, Frauen zu zerreißen. Wenn sie über die tragischen Unglücke nachdenken, sehen sie darin sich selbst – die Frauen erkennen sich als Opfer wieder, die Männer als Mörder. Als sie mich Lederschürze nannten, sahen sie in mir einen Fremden. Metzger sind ihnen unheimlich, wie die Ärzte oder die Juden. Nun, da sie beginnen, sich selbst, ihre eigenen kleinen Familien und Bekannten, in das Spiel von Schändern und Geschändeten einzubringen und daraus ein erbauliches Picknick im Kreise der Lieben zu machen, trägt der Name für sie keinen Sinn mehr. Alle heißen sie Jack, und alle wollen sie nur ungelenk zerreißen, wie es ihrer Natur entspricht.
Sie übersehen, dass die Polizei den Täter für einen Chirurgen hält und damit recht hat. Dass sie betont, wie sorgfältig und professionell das Unvermeidliche getan wurde. Jack the Ripper – was für ein hanebüchener Unsinn!
Es war drei Uhr, und Walter Sickert spürte keine Müdigkeit – nur eine stumpfe Trägheit. Er sehnte sich danach, es hinter sich zu bringen. Noch zehn Seiten oder weniger, dazu zwei längere Zeitungsartikel. Es ging dem Ende entgegen.
15
„Haben Sie eine chi- … eine chi- … chirurgische Ausbildung genossen, Mr. Spareborne?“ Die Frau gab sich alle Mühe, nüchtern zu klingen, doch sie schwankte, als würde sie jeden Augenblick ohnmächtig werden.
„Ja“, antwortete Alan.
„Warum haben Sie den Frauen die … Eingeweide …“ Mary brauchte vier Anläufe, um das schwierige Wort „intestines“ zu entziffern, und als es endlich draußen war, brach sie unter Tränen am Tisch zusammen, und für einige Minuten war nur ihr Schluchzen zu vernehmen. Der Alte, der noch immer durch das Fenster hereinspähte, griff nicht ein, drängte sie diesmal nicht. Sein Interesse schien nun Alan zu gehören. Er beobachtete ihn mit seinen kleinen, funkelnden Augen, sezierte ihn förmlich.
Auf einmal wusste Alan, dass es sich um einen Polizisten handelte. Es gab keinen Hinweis darauf, keine Uniform, keine Äußerung, die es verriet. Es war alles in diesen Augen.
„Dies ist nicht Scotland Yard“, zischte er. „Ich glaube nicht, dass Ihrem Vorgesetzten gefallen würde, was Sie hier veranstalten …“
Der Angesprochene reagierte nicht.
„Sagen Sie mir Ihren Namen!“, verlangte Alan. „Sie kennen drei von meinen.“
Der Alte hörte nicht auf, ihn zu fixieren. Als er Sparebornes Bitte nachkam, tat er es ausschließlich, weil ihn die Reaktion des Gefesselten interessierte – so schien es Alan.
„Thomas Arnold“, meinte er gedehnt. „Du solltest meinen Namen kennen, Bestie.“
Alan dachte einen Moment lang ernsthaft nach, erinnerte sich aber nicht. „Thomas Arnold … Sergeant?“, fragte er. „Inspector? Chief Inspector?“
„Superintendent“, sagte der Alte. „Ich hatte einige Jahre lang die Division H unter mir. Auch 88 – ein besonderes Jahr …“
„Division H“, murmelte Alan. „Bethnal Green, nicht wahr?“
„Whitechapel. Du hast dich keinen Deut um uns geschert, was?“
„Das stimmt“, gab Alan unumwunden zu. „So viele Namen … und Titel …“
„Menschen, Jack, Menschen – keine Namen. Du hast nie die Menschen gesehen, nicht wahr? Die Todesangst in ihren Augen … Du hast deine Opfer von hinten genommen, wie ihre Freier. Manche sagen, das war, weil du sie überraschen wolltest. Sie sollten das lange Messer nicht sehen, nicht zum Schreien kommen. Ich, Jack, ich behaupte, es war, weil du ihre Augen nicht ansehen wolltest. Weil du ihnen nicht ins Gesicht sehen konntest.“
Alan
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