Der Atem des Rippers (German Edition)
indem es mich tötet oder mich läutert wie die Hitze des Fegefeuers.
Doch das Fieber flieht vor mir. Nackt schlafe ich auf den Steinen. Mein Körper ist von geradezu animalischer Lebenskraft erfüllt und sträubt sich gegen die Krankheit. Vermutlich ist die Reliquie dafür verantwortlich, die ich noch immer bei mir aufbewahre. Jetzt, wo ich auf dem Fußboden nächtige, steht sie auf dem Bett. Der Pater scheint Angst davor zu haben, sie auch nur anzufassen, sonst hätte er sie mir gewiss längst weggenommen. Sie schützt mich – ein wunderschönes weißliches Organ in Formalin, wie eine exotische Frucht voller Zauberkraft. Sie zu zerstören ist mir unmöglich. Ihretwegen musste eine Frau namens Annie Chapman unter tragischen Umständen sterben.
Nicht selten frage ich mich, ob ich wohl von einer Geisteskrankheit befallen bin. Offenbar verstoße ich gegen alle Moralvorstellungen, die dieses Land, seine Bürger, seine Institutionen und seine Kirchen pflegen. Deutet nicht alles darauf hin, dass ich selbst es bin, der verblendet und irr ist? Ich hätte es geglaubt, hätte mir den Wahnsinn diagnostiziert, wäre da, sieben Jahre in der Vergangenheit, nicht dieses Erlebnis mit der Schweinsniere gewesen. Den Heiligen Vater und eine Handvoll hoher Würdenträger hatte ich gegen mich gehabt, doch alle konnten sie mir nichts anhaben, da die Wahrheit und die Heiligen auf meiner Seite standen.
Manchmal muss Gott eine ganze Gesellschaft in die Irre leiten, um einem einzelnen Menschen seinen Weg zu zeigen.
Ich weiß, ich bin im Recht, und doch drohe ich daran zu zerbrechen. Wann wird mein Martyrium ein Ende haben?
24. September 1888
Das Fieber ist zurück. Es ist heiß wie die Hölle. Pater Henry bedauert es, keinen Arzt rufen zu können. Ich sage ihm, es ist in Ordnung. Entweder sterbe ich daran, oder es reinigt mich.
Der letzte Eintrag beanspruchte eine ganze Seite und war im rechten Winkel quer zu den Zeilen geschrieben. Tintenkleckse bildeten ein merkwürdiges Muster auf den Rändern, und Sickert glaubte zunächst, darin eine Malerei erkennen zu können, gab es jedoch auf. Es waren nur Tintenkleckse, nichts weiter.
28. September 1888
Pater Ouston wurde zu einer Synode nach Dublin bestellt. Ich weiß, ohne dass er es mir verrät, dass er mit dem Gedanken gespielt haben muss, die Reise nicht anzutreten. Doch dann tut er es doch, nachdem er sich vergewissert hat, dass mein Fieber hoch ist und ich in den voraussichtlich fünf Tagen seiner Abwesenheit schwerlich etwas in seinen Augen Böses anrichten kann.
Doch Fieber ist etwas Tückisches, Unberechenbares.
Er verabschiedet sich von mir mit einem unbeschreiblichen Blick. Ich glaube, er rechnet damit, dass ich tot sein werde, wenn er zurückkommt. Möglich, dass er Recht behält. Obwohl ich mich besser fühle, seit er weg ist. Er hat es nicht übers Herz gebracht, mich über die fünf Tage hinweg einzuschließen. Ich sagte bereits, er ist von nachgiebiger, schwacher Natur, all seine Strenge nur ein mühsam aufrecht erhaltener Mummenschanz, den er ablegt, wann immer er es für vertretbar hält.
Fünf Tage.
Ich habe nicht vor, mir eine weitere Reliquie zu beschaffen. Ich besitze einen wunderschönen, mächtigen Talisman, dem ich es ohne Zweifel zu verdanken habe, dass mich weder die Polizei noch das Fieber bisher von dieser Welt gewischt hat. Mehr zu verlangen wäre unmäßig.
29. September 1888
Wann immer ich mich bisher mit den Namenstagen beschäftigt habe, sind mir große neue Erkenntnisse daraus erwachsen. Der Kalender ist eine Chiffre, in der Gott unmittelbar zu mir spricht – diese göttlichen Lettern zu missachten würde bedeuten, zu vergessen, was der Herr und sein Diener, der Heilige Antonius, damals in Padua an mir vollbrachten.
Morgen ist der Tag vierer Märtyrerinnen. Die Christin Sophia, Witwe eines reichen Mailänders, verließ zusammen mit ihren drei Töchtern Fides, Spes und Caritas ihre Heimat, um in Rom das Martyrium zu erleiden. Kaiser Hadrian richtete zunächst die drei Töchter hin, deren Namen Glaube, Hoffnung und Liebe bedeuten, und schließlich Sophia selbst, deren Name Wissen war.
Ich gestehe, dass mich bei der Erwägung der Zusammenhänge Unruhe erfasst. Der Herr hat Pater Ouston abberufen, um mir Freiheit zu gewähren. Bald schon wird er zurückkehren und mich erneut einsperren, bis mich das Schiff in die Fremde entführt. Vielleicht wird er meine Reliquie vernichten, die die Frau namens Annie Chapman und ich so teuer bezahlen mussten.
Es
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