Der Atem des Rippers (German Edition)
scheint, als wolle der Herr mir eine Chance geben, besser für die Zukunft vorzusorgen. Vier Märtyrerinnen. Er hat es vor Jahrhunderten hingenommen, dass vier Frauen für den Glauben starben. Heute ist er wieder dazu bereit.
Wissen, Glaube, Hoffnung und Liebe. Vier starke Argumente. Wissen, Hoffnung und Liebe hatten mir in meiner Zeit als Chirurg stets die Kraft verliehen, das Unangenehme zu tun und in den blutigen Innereien der Menschen zu wühlen. Und was ich getan hatte, war gut gewesen.
Mittlerweile ist als viertes noch der Glaube hinzugekommen, und das macht mich noch mächtiger.
Der Mensch Alan Spareborne will es nicht tun. Der Mensch Alan Spareborne wollte nie eine dieser Operationen durchführen, die er im General Hospital in Birmingham erledigte. Der Mensch Alan Spareborne wollte immer schon gemütlich in einem blühenden Garten sitzen und den Schmetterlingen und Bienen zusehen. Doch das Wissen verpflichtete ihn zu seiner Arbeit, die Hoffnung trieb ihn dazu an, und die Liebe versöhnte ihn mit seinen Taten.
Heute ist es ähnlich. Alan Spareborne verabscheut es heute wie damals, menschlichen Körpern Schnitte zuzufügen. Doch der Glaube pumpt wie Alkohol in seinen Adern, lässt ihm keine Ruhe.
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Die versteckten Vorankündigungen, die Hinweise zwischen den Zeilen waren so deutlich, dass Walter Sickert nicht mehr hoffen durfte, von weiteren Bluttaten verschont zu bleiben. Und doch hoffte er weiter für diesen ihm fremden Menschen, dass er sich diesmal als stark genug erweisen würde, der Versuchung zu widerstehen. Eine lächerliche Hoffnung. Walter Sickert konnte sich an weitere Opfer erinnern – und es führte kein Weg daran vorbei, ihnen heute Nacht noch zu begegnen …
30. September 1888
Zwei Märtyrerinnen wurden hingerichtet. Vier wären unmöglich gewesen. Whitechapel wimmelt von Polizisten. Schon bei der ersten hätte man mich beinahe erwischt. Ich hatte keine Zeit, ihr die Reliquie zu entnehmen. Ihr Tod war so sinnlos, scheußlich und schmutzig wie der von Marie Nichols – sinnlos, sinnlos, sinnlos! Ich weiß nicht einmal, wie der Ort hieß, an dem es geschah, aber ich werde es bald in der Zeitung lesen. Vielleicht eine halbe Stunde später fand ich im Mitre Square eine zweite Märtyrerin und entnahm ihr den Uterus und eine Niere – die linke. Es verletzt meine Berufsehre, es zugeben zu müssen, doch ich war in höchstem Maße nervös bei dem Eingriff, und ich fürchte, ich muss den Körper der armen Frau bei meiner wirren Suche furchtbar zugerichtet haben. Ich erinnere mich nicht daran, wie sie aussah. Ich werde sie nicht wiedererkennen, wenn sie ihr Gesicht in der Zeitung abdrucken. Die Teile von ihr, die ich besitze, werde ich umso sorgfältiger behandeln.
Es wird Zeit, dass all das ein Ende hat. Ich kann keine Operationen mehr brauchen, keine Namenstage und keine toten Frauen. Nie hätte ich ein Leben lang als Chirurg arbeiten können. Es hätte mich um den Verstand gebracht.
Beinahe bin ich froh, dass ich bald als Missionar in Burma sein werde. Fünfeinhalb Wochen noch. London beginnt mich zu erdrücken, mit seinen Kirchen und Prostituierten, mit seinen Zeitungen, die nur noch von Morden schreiben.
Ich scheine langsam den Verstand zu verlieren. Am klarsten denke ich noch im Fieber. In einfachen, kurzen Gedankengängen. Wenn ich fieberfrei bin, so wie jetzt, fallen mir die Widersprüche auf. Versuchungen Satans?
Ich werde mich daran machen, die Reliquien zu präparieren. Nichts darf auf meine Tat hindeuten, wenn Pater Ouston zurückkehrt. Was sage ich da? Wie soll ich es verheimlichen? Die Presse wird voll davon sein, und er wird heute schon in Dublin davon erfahren.
Heute schon! Wird er überhastet zurückkehren? Dann könnte er heute Abend bereits hier sein! Ich muss mich beeilen. Vielleicht sollte ich fliehen. Aber wohin? Wenn ich verschwinde, wird man wissen, dass ich es war. Und ich werde niemals nach Burma kommen.
Wenn ich in England bleibe, werden sie mich aufhängen, früher oder später.
Wird der Pater noch einmal zu mir halten?
1. Oktober 1888
Ich habe mir eine Zeitung gekauft. Es ist die Morgenausgabe der Daily News. Eine der Überschriften wühlt mich so auf, dass ich das Gefühl habe, meine Wut, heißer als jedes Fieber, das ich je hatte, werde jeden Augenblick das billige graue Papier in Flammen setzen.
In der zentralen Nachrichtenagentur ist bereits vor drei Tagen ein Brief eingegangen, der mit den Worten „Lieber Boss“ beginnt und sich liest wie das Machwerk
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