Der Atem Manitous
Tagen und Wochen soviel Angst unter den Bewohnern Bangors angestaut, daß sie nun dringend ein Ventil brauchten, um sich davon freizumachen.
Es war purer Zufall, daß die Behörden gerade an dem Tag, als Li-lith ein Hotelzimmer in Bangor bezog, eine heiße Spur zum Versteck der Mörder gefunden hatte, die die Stadt nicht erst seit ein paar Wochen terrorisierten - deren Wirken aber erst seit dieser Zeit sichtbar geworden war und nicht länger in einer unfaßbaren Konspiration vertuscht wurde.
Lilith hatte sich nur noch an die Fersen der City Police heften müssen.
Die Vampire waren ganz offensichtlich nicht mehr in der Lage, das Netz der Verschwörung, das sie seit Urzeiten in ihrem Dunstkreis woben, soweit aufrechtzuerhalten, daß es funktionierte.
Sie mußten wahnsinnig sein vor Durst.
Durst, der durch nichts mehr zu löschen war .
Lilith verließ ihren erhöhten Beobachtungsposten und bahnte sich einen Weg zu den Absperrungen. Mit Hilfe ihrer hypnotischen Kräfte gelang es ihr relativ leicht, den Kordon zu durchdringen. Sie draußen wartende Menge mochte sie für eine Polizistin halten - zumindest versuchte das Mimikrykleid eine Uniform detailgetreu zu imitieren.
Wer nicht zu genau hinschaute, mochte davon getäuscht werden.
Lilith nahm einen der FBI-Agenten, die den Einsatz leiteten und speziell gekennzeichnete kugelsichere Westen trugen, beiseite und verlangte erschöpfende Auskunft über die Situation in dem belagerten Gebäude, dessen Bewohner immer wieder über Megaphone aufgefordert wurden, sich ohne weiteres Blutvergießen zu ergeben.
»Letzte Nacht hörte einer der Anwohner Schreie aus dem Haus. Schon in den Tagen davor hatte es Beschwerden gegeben. Den Pro-tokollen nach gingen Streifenpolizisten den angezeigten Lärmbelästigungen nach, aber sie konnten nichts Verdächtiges entdecken. Aus all den Berichten, die wir jetzt noch einmal durchgingen, war zu lesen, daß die Beamten selbst keinen Grund zu Beanstandungen oder einer Strafverfolgung fanden. Davon sind sie - nach aktueller Befragung - auch jetzt noch überzeugt ...
Aber letzte Nacht blieb es nicht bei Geschrei und Lärm. Diesmal beobachteten mehrere Anwohner, wie gegen Mitternacht ein Fenster im obersten Stockwerk aufgerissen wurde und jemand unter irrem Gelächter dicht hintereinander mehrere Leichen auf die Straße hinabwarf. Die alarmierte Polizei barg die Opfer und stellte an ihnen die selben Verstümmelungen fest wie an den Leichenfunden, die nicht nur in Bangor und Umgebung, sondern überall im Land seit geraumer Zeit entdeckt werden .«
Während Lilith weiter zuhörte, war ihr klar, daß der FBI-Agent hier Interna ausplauderte, die der Öffentlichkeit bislang vorenthalten wurden, um nicht noch größere Ängste zu schüren.
Ihr selbst war bewußt, daß die Vampire überall auf der Welt ihre Erkenntnis der plötzlichen Sterblichkeit und Alterung zunächst mit Greueln an der Bevölkerung zu kompensieren versucht hatten.
Verständlicherweise taten die Behörden alles, um das wahre Ausmaß der Tötungen zu verschleiern. Die Hintergründe blieben für die offiziellen Stellen ominös, eben schleierhaft. Wer glaubte schon an Vampire?
Wieder einmal würden Theorien von Serienmördern oder Massenpsychosen strapaziert werden. Lilith wußte es besser.
»Wie viele Gewalttäter halten sich Ihrer Meinung nach in dem Gebäude auf?« fragte sie.
»Wir wissen es nicht. Theoretisch kann es ein einziger Mann sein. Der, mit dem wir seit letzter Nacht verhandeln .«
»Sie verhandeln? Worüber?«
»Er behauptet, lebende Geiseln bei sich zu haben. Wir müssen das ernstnehmen.«
Lilith überlegte. Ein Blutsauger genügte für ihre Zwecke.
»Haben Sie vor, das Haus zu stürmen?« fragte sie.
»Das kommt darauf an, wie sich die Sache weiterentwickelt. Aber das entscheide nicht ich, sondern .«
»Schon gut.«
Sie ließ ihn stehen und ging langsam näher auf das Haus zu, in dem ein dem Wahnsinn verfallener, seinem zur Krankheit gewordenen Trieb folgender Vampir mit einem Großaufgebot der Polizei pokerte. Lilith vermutete, daß es sich tatsächlich nur um das Sippenoberhaupt handelte. Alle anderen mußten der Seuche inzwischen zum Opfer gefallen sein.
Ob sich wirklich weitere Menschen in seiner Gewalt befanden, würde sich zeigen. Aber Lilith war jetzt schon überzeugt, daß diese Geiseln, falls es sie gab, ebenso unschädlich gemacht werden mußten wie der Vampir selbst.
Denn hinter diesen Mauern würde es nichts Lebendiges mehr geben, in das
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