Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
französischen Insel Ushant. Es sah zunächst so aus, als wären die Briten als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorgegangen, und ihr kluger und tapferer Oberbefehlshaber, der achtundsechzigjährige Admiral Richard Howe galt fortan als Held. Tatsächlich aber war es das Hauptziel der Franzosen gewesen, einem Konvoi amerikanischer Frachtschiffe, die Getreide für die hungernde französische Bevölkerung geladen hatten, eine freie Durchfahrt zu eröffnen – und tatsächlich gelang es diesen Schiffen, durch die Sperren zu schlüpfen. Es war also nicht ganz eindeutig, wer bei diesem ersten wirklichen Kampf auf dem Ozean den Sieg davontrug, oder man könnte sagen, dass es ein taktischer Sieg für die Engländer und ein strategischer für die Franzosen war. Wichtiger jedoch: Es war eine Aktion, die solche Kämpfe um Geleitzüge vorwegnahm, wie sie weniger als anderthalb Jahrhunderte später ausgetragen wurden und wesentlich mehr Opfer forderten.
Solange das Zeitalter der Segelschifffahrt andauerte, kam es zu sehr vielen weiteren Kämpfen auf dem Atlantik, die zu Recht in die Geschichtsbücher eingingen, entweder weil sie als Paradebeispiele für Seeschlachten gelten konnten oder aber weil sie eine Neuverteilung der politischen Gewichte ankündigten oder bewirkten. Die Vernichtung der Spanischen Armada durch Queen Elizabeths Kriegsflotte im Jahr 1588 war eine Aktion, die grundlegend zur Entstehung des britischen Empire und zum Niedergang, um nicht zu sagen Verfall, des spanischen Weltreichs als dessen Vorläufer beitrug. Mit dem Sieg über Napoleons Kriegsmarine (bei der auch wieder spanische Schiffe auf den Grund des Meeres geschickt wurden) in der »klassischen« Seeschlacht von Trafalgar im Jahr 1805 verknüpft sich vor allem die Erinnerung an den Tod Nelsons, eines Mannes, der heute noch in Großbritannien und von Seeleuten auf der ganzen Welt verehrt wird. Seine Uniform mit dem von seinem Blut umrandeten Loch, das die von einem Scharfschützen der Redoubtable abgefeuerte Musketenkugel gerissen hat, bleibt das kostbarste Ausstellungsstück, über das das Marinemuseum in Greenwich verfügt. Nelsons gewaltiges Flaggschiff, die HMS Victory von dreitausendfünfhundert Tonnen liegt in bestem Erhaltungszustand im Hafen von Portsmouth, 36 und ein Kapitän der französischen Marine wird bis zum heutigen Tag nicht mit mon capitaine , sondern nur mit capitaine angeredet: Napoleon schaffte die ehrerbietigere Anredeform wegen des seiner Ansicht nach schmachvollen Versagens seiner Flotte bei Trafalgar ab.
Nachdem durch den Sieg bei Trafalgar die Bedrohung durch die französische Kriegsmarine beseitigt worden war, genoss Großbritannien die uneingeschränkte Herrschaft über den Atlantik und konnte auf ihm und auf entfernteren Meeren nahezu ungestraft und ungehindert nach eigenem Gutdünken schalten und walten und seine imperialistischen Ansprüche geltend machen. Wie an den Schauplätzen anderer Seeschlachten erhebt sich auch dort, wo die von Trafalgar ausgefochten wurde, kein Denkmal – die paar Quadratkilometer Wasser westlich von der Straße von Gibraltar verschlangen alle Opfer. An der Stelle, an der siebenundzwanzig britische Schiffe es mit einer dreiunddreißig Einheiten umfassenden vereinten französischen und spanischen Flotte aufnahmen – 2100 Kanonen gegen 2500 und 17000 britische Seeleute gegen 30000 französische und spanische –, sieht man nichts als Wellen und Dünung. Doch die Signalflaggen, die Nelsons berühmten Spruch: England Expects That Every Man Shall Do His Duty (England erwartet, dass jeder Mann seine Pflicht tut) 37 ergeben, sind heute noch am Mast seines Schiffs aufgezogen, das jetzt in Portsmouth im Trockendock liegt. Und das berühmte Gebet, in dem der Admiral Gott um a great and glorious victory (einen großen und glorreichen Sieg) bat, ist jedem Schulkind bekannt.
Horatio Nelson war Englands berühmtester Seeheld, dessen größter Triumph auch sein letzter sein sollte: der Sieg über die vereinte französische und spanische Flotte bei Kap Trafalgar an der spanischen Küste im Oktober 1805. Ein Scharfschütze, der im Mast des französischen Linienschiffs Redoutable Position bezogen hatte, verwundete ihn tödlich. Der letzte Gedanke des Sterbenden soll seinen Männern gegolten haben, die er anwies, sich vor einem aufziehenden Sturm in Sicherheit zu bringen.
Und mehr noch: Nelsons brillante und unorthodoxe Taktik, die darin bestand, seine Schiffe in zwei parallelen, aber deutlich voneinander
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