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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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dem aus Murexmuscheln gewonnenen Purpurfarbstoff handelten, bis heute, da Containerschiffe zwischen Chesapeake Bay und dem Mersey hin- und herstampfen, ist der Handelsverkehr auf und mithilfe des Atlantiks nie zum Erliegen gekommen, und die Summe Geldes, die dabei im Spiel war, ist unvorstellbar hoch.
    Ursprünglich wurde der Seehandel ausschließlich von privaten Unternehmern betrieben – die Vorstellung vom wahren »internationalen« Handel, dem Handel »inter nationes«, heute eine nahezu essentielle Komponente aller modernen Nationalökonomien, war noch unbekannt. Sporadisch, wenn die Stimmung danach war oder sich eine besonders günstige Gelegenheit bot, wurden Handelsexpeditionen in die Wege geleitet; eine Gruppe von Finanziers rüstete dann ein Schiff aus und heuerte einen Kapitän an, der die Anweisung erhielt, mit einem Laderaum voller Kinkerlitzchen oder aber ungemünztem Edelmetall zu einer Region aufzubrechen, die sich als Quelle ungeheuren Reichtums erweisen könnte. Diese Geldgeber setzten darauf, dass die Gefahren durch schlechtes Wetter, Piraten oder feindliche Eingeborene sich als unerheblich erwiesen und man mit einer sicheren Heimkehr des Schiffs rechnen könne. Wenn dem so war, teilte man nach dem Wiedereinlaufen des Seglers alles, was dieser an Beute hatte laden können. Die Risiken einer solchen Unternehmung waren hoch, die Konkurrenz nicht vorhersehbar, Gewinne ungewiss: Einige machten auf diese Weise ein Vermögen, die Zahl derer, die in den Ruin getrieben wurden, war jedoch viel größer.
    Im 13. Jahrhundert unternahm eine Gruppe von norddeutschen Kaufleuten den Versuch, den Seehandel besser zu organisieren – anfänglich war es ihr Hauptziel, ihren Handel mit Salzfisch auf eine sicherere Basis zu stellen; die Fische wurden vorwiegend in der Ost- und der Nordsee gefangen.
    Es geschah dem allgemeinen Dafürhalten nach um 1241 in Lübeck, dass diese Kaufleute sich zu einer Vereinigung zusammenschlossen, die sie »Hanse« nannten. In diese Vereinigung wurden (anfangs fast ausschließlich deutsche) Berufskollegen in anderen, nahe gelegenen Städten mit ähnlichen Interessen und Anliegen aufgenommen, und man regelte den maritimen Handel unter den verschiedenen Mitgliedern. Aus dem Kaufmannsbund entstand ein Städtebund, der sich über die nächsten vier Jahrhunderte hinweg zu einer Gesellschaft entwickelte, die – zeitweise auch mit Waffengewalt – ihre (Nahezu-)Monopolstellung im Seehandel zwischen Bergen und London im Westen sowie Danzig, Riga und der russischen Stadt Nowgorod im Osten energisch und erfolgreich verteidigte. Die Hanse stellte eine beeindruckende Organisation dar, und ihr Einfluss, auch auf kulturellem, architektonischem und sogar linguistischem Gebiet – deutsche Wörter gingen ins englische Vokabular und selbst in die Sprachen so ferner Länder wie Spanien und Portugal ein – war immens.
    Verallgemeinernd gesprochen, betrieben die Hansekaufleute einen Handel in beiden Richtungen entlang einer Ost-West-Achse. Ihre Schiffe – in der Frühzeit sogenannte Koggen, kleine Segelschiffe mit flachem Kiel, denen oft bewaffnete Geleitfahrzeuge folgten – brachten Rohstoffe wie Pelze, Wachs, Getreide, Holz, Pech, Teer, Flachs und Bier aus den ländlichen Gebieten im Osten des Einflussgebiets der Organisation herbei. In verschiedenen Häfen, die eigens zu diesem Zweck angelegt worden waren, in Städten wie Rostock, Stettin, Riga, Königsberg, wurden diese Rohstoffe gegen Manufakturwaren sowie seltenere oder edlere Produkte wie Wolle und Leinen, verarbeitete Pelze und Häute, Wein, Salz, Schwerter und Gerätschaften zum Kochen, die aus Westeuropa stammten, wo es ebenfalls Kontore der Hanse gab, eingetauscht.
    London war ein solcher westlicher Vorposten der Hanse – mit einem Kontor, eigenen Lagerhäusern und Quartieren für die Kaufleute. Die Briten, die mit den »Hanseaten« Geschäfte machten, stellten fest, dass diese vertrauenswürdig und zuverlässig waren. Sprachforschern zufolge entstand aus dem Wort easterling (Ostling), mit dem die Londoner die Händler aus den im Osten gelegenen Hansestädten bezeichneten, durch Verschleifung das Wort sterling , das noch im heutigen Englisch so viel wie solide, verlässlich bedeutet. Die Stadt Brügge war eine weitere bedeutende Hansestadt, und als der Bedarf an Trocken- oder Räucherfisch – gesund, billig und leicht zu transportieren – mit der Zunahme der Bevölkerung und der Prosperität in Europa nahezu exponentiell wuchs, weiteten

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