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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Jacques Cartier fast vierzig Jahre später in der Region eintraf und sein berühmtes riesiges Kreuz mit der Inschrift »Vive le Roi de France« auf einer Klippe auf der Halbinsel Gaspésie aufstellte, die umliegenden Territorien Canada nannte und für Frankreich in Besitz nahm, gingen die Basken dort schon mit vielen Hunderten von Booten energisch und eifrig dem Fischfang nach, wobei sie aber im Unterschied zu Cartier auf herrschaftliche Gesten verzichteten und auch keine solchen Ansprüche erhoben wie dieser. Man nimmt allgemein an, dass der Name Gaspé sich von dem baskischen Wort gerizpe ableitet, was so viel wie Unterschlupf, Zuflucht bedeutet. Die Bewunderer der Basken sehen darin natürlich eine Bestätigung ihrer Theorie, dass die Angehörigen dieses Volkes schon lange vor anderen Europäern, die Wikinger ausgenommen, vor Neufundland Kabeljau fingen und auch an den Flussmündungen siedelten.
    Der genaue Zeitpunkt des Eintreffens der Basken in der Region ist aber weniger interessant als die Tatsache, dass sich damit – wie mit der Ankunft Kolumbus’ auf San Salvador, Cabots Entdeckung Neufundlands und insbesondere Vespuccis Erkenntnis, dass Amerika ein eigener Kontinent und der Atlantik ein eigener Ozean war – ein ganz neues Phänomen entwickeln konnte. Ob sie aus Neugierde oder aus kommerziellen Gründen, im Namen Gottes oder aus irgendwelchen anderen Motiven heraus angetreten wurden: Man konnte jetzt transatlantische Seereisen unternehmen, das heißt, man konnte nun zwischen den Küsten an einander gegenüberliegenden Seiten des Ozeans hin- und herfahren. Die Seefahrer mussten sich nicht länger damit begnügen, an Küsten entlangzukriechen, und nicht mehr mit bestimmten Abschnitten des Meeres vorliebnehmen.
    Baskische Fischerboote zum Beispiel waren nicht länger darauf angewiesen, sich in westliche Richtung in eine nebelverhüllte, unbekannte See vorzuwagen, mit der alleinigen Absicht, Kabeljau zu fangen – wobei immer fraglich war, ob sie Erfolg haben würden, und es eher eine Sache des Glücks als eine Gewissheit war, ob sie sicher in die Heimat zurückkehren würden. Nein, jetzt konnten sie zum ersten Mal ein Ziel ansteuern. Die Kapitäne dieser Boote wussten nun, wenn sie aus ihren Heimathäfen in die bewegten Wasser der Bucht von Biskaya vorstießen, dass es eine andere Seite gab, an der ihre Fahrt erst einmal zu Ende sein würde, eine ferne Küste, wo Ankerplätze und Proviant auf sie warteten, sie Schutz finden würden und Ausbesserungsarbeiten vornehmen könnten. Nach einiger Zeit konnten sie auch damit rechnen, dort Siedlungen ihrer Landsleute vorzufinden. Das traf aber auch für die Angehörigen anderer Völker zu. Es dauerte nicht lange, bis auch die Mannschaften von spanischen Galeonen und portugiesischen Karacken und englischen Linienschiffen in dem Bewusstsein aufbrachen, dass es diese andere Seite gab – und von Beginn des 16. Jahrhunderts an wurden regelmäßig transozeanische Fahrten unternommen. Man trieb Handel und beutete die Reichtümer des Meeres aus.
    Und nicht nur die Europäer betrieben eine solche Art von Seefahrt, sondern die »neuen« Amerikaner taten es ihnen gleich, und zwar nach 1776 als Bürger eines unabhängigen Staates. Sie ließen keine Zeit verstreichen und unternahmen sehr bald transatlantische Reisen zu den verschiedensten Zwecken. Ihre »Seebeine« verschafften sie sich zuallererst, indem sie auf Walfang gingen.
    Doch wieder einmal waren die Basken wegweisend gewesen. Diese hatten nämlich schon im Verlauf der davor liegenden sechs Jahrhunderte diesem warmblütigen Meeressäuger mit derselben Verbissenheit und Erbarmungslosigkeit nachgestellt wie dem viel kleineren Kabeljau. Anstatt die herkömmlichen primitiven Methoden anderer anzuwenden, die darauf gewartet hatten, dass Wale ins flache Wasser in Küstennähe schwammen, segelten die Basken mit ihren Booten aufs offene Meer hinaus und jagten die Wale in weiter Entfernung von ihren heimischen Gestaden, so wie sie es auch mit anderen im Ozean lebenden Geschöpfen zu tun pflegten.
    Ihre Hauptbeute, zunächst in der Biskaya und dann auch in den Gewässern im Süden Islands und jenseits davon, war der zur Untergattung der Bartenwale 44 gehörende sogenannte Nordkaper, der im Englischen right whale heißt, weil er der »richtige« Wal war, der, auf den Jagd zu machen sich am meisten lohnte. Der Nordkaper – ein reinschwarzes Geschöpf von ungefähr hundert Tonnen Gewicht, das eine verhängnisvolle Vorliebe dafür

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