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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Versammlungen in der nordischen Welt, die geltend machen, die ersten gewesen zu sein, doch es lohnt kaum, die von ihnen vorgebrachten Argumente zu untersuchen. Wenn man akzeptiert, dass die auf Island geborene Idee sich rasch und über große Entfernungen hinweg verbreitete, dann zeichnet sich ein Faktum als gewiss ab: dass es nämlich in einem großen Teil Nordeuropas – und zwar in Ländern, die in inniger Beziehung zum Atlantischen Ozean standen – vom 10. Jahrhundert an sowohl eine etablierte und allgemein anerkannte Art gab, Gesetze aufzustellen, als auch von der Bevölkerung gewählte oder auf andere Weise eingesetzte Körperschaften, die damit beauftragt waren, diese Gesetze zu verkünden und über ihre Einhaltung zu wachen.
    Institutionen dieser Art wurden zu einer so frühen Zeit weder in Russland begründet noch in China, um ein anderes Beispiel zu nennen, und auch nicht in Griechenland. Die im Athen der Antike geschaffene Regierung unter Beteiligung des Volkes war letztlich von ganz anderer Art. Die parlamentarische Demokratie, das heißt das, was wir heute darunter verstehen, ist eine atlantische Schöpfung – eine weitere Erinnerung daran, dass das Mittelmeer zwar für die Welt der Antike prägend war, jedoch der Nordatlantik und viele der an ihn grenzenden Länder Zeugen der Errichtung vieler der Grundmauern, Stützpfeiler und anderer Bauelemente dessen waren, was wir die »moderne Welt« nennen.
    2. Die Regeln des Handels
    D ass eine nach außen, über die eigenen Grenzen hinausblickende Gesellschaft, die übereingekommen ist, sich nach einem Kodex von »hausgemachten« Gesetzen zu verhalten, irgendwann mit Nachbarvölkern in Berührung kommt, deren Rechtsbräuche unter Umständen ganz anders sind, ist unvermeidlich. Das wird nirgendwo offenbarer als im Bereich des Handels. Wenn isländische Händler mit ihren Kollegen in Norwegen Geschäfte machen, welches Gesetz gilt dann? Die Gesetze des Thingvellir Althing oder die des Parlaments in Oslo? Die Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtssystemen mögen nie groß gewesen sein, doch erkannten die Händler schon früh, dass man sie, um effizienter und problemloser Geschäfte miteinander machen zu können, irgendwie »synchronisieren«, aufeinander abstimmen müsste. Und so begann man während des 11. und 12. Jahrhunderts, die Schifffahrt, die Gewerbe, die Erkundungen der Nachbarländer und die Beziehungen, die zu ihnen und zu weiter entfernten Ländern bestanden, langsam und kontinuierlich zu organisieren und durch eine Reihe von »Übergesetzen« zu regeln, durch Vereinbarungen, die vielleicht in den nationalen Gesetzen eines jeden Handel treibenden Landes wurzelten, die aber – was die Schifffahrt und die Meere, auf denen sie stattfand, betraf – irgendwie in etwas Übergreifenderes, Umfassenderes verwandelt wurden.
    Der Ozean, der sozusagen vor der Haustür dieser neuerdings demokratischen in Skandinavien und an der Ostsee beheimateten Völker lag, wurde infolgedessen zu einer Entität, die von Regeln bestimmt war. Ein Ozean, der einst nicht mehr als ein turbulentes und schreckeinflößendes Gewässer gewesen war, voller Stürme, Ungeheuer und Geheimnisse, begann sich Zucht und Ordnung zu unterwerfen. Letztlich zum Vorteil aller wurde der Atlantik zuerst im Nordosten und dann allmählich über ein viel ausgedehnteres Gebiet hinweg zu einem von Bräuchen, Gewohnheiten, Bestimmungen, Gebühren, Zeitplänen und Regeln beherrschten Bereich.
    Gegenden zu erforschen oder zu besiedeln, Krieg zu führen, andere zu missionieren, zu fischen und Handel zu treiben, das waren immer die Hauptimpulse gewesen, die die Menschen dazu bewogen, sich aufs Meer hinauszuwagen. Während der Trieb zur Erforschung geringer wurde, als alles »entdeckt« war und auch die Migration abnahm, als die entfernten Regionen sich mit Menschen gefüllt hatten, während Kriege immer öfter mit der Unterzeichnung von Abkommen und Zusicherungen von Gefolgschaft endeten, und während Missionare aufhörten, sich auf Missionen zu begeben, sobald genügend von den Konvertierbaren konvertiert waren, blieben hauptsächlich zwei der genannten Impulse bestehen. Die Ozeane wurden weiterhin als wichtige Quelle zur Versorgung mit Nahrungsmitteln angesehen und als Verbindungsstraßen, auf denen man in andere Regionen gelangen konnte, um dort Handel zu treiben. Das war im Laufe unserer gesamten Geschichte so und wird immer so sein.
    Von der Zeit an, als die Phönizier zwischen Mogadur und Tyrus mit

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