Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
verabscheute und verachtete dort in weiten Kreisen alles Englische. Durch den hartnäckigen Einsatz von Lobbyisten gelang es jedoch den Befürwortern des Projekts, den Kongress dazu zu bewegen, die entsprechenden Gesetze zu verabschieden. Im März 1857, noch am selben Tag, an dem er sein Amt an seinen Nachfolger James Buchanan abtrat, machte Präsident Franklin Pierce mit seiner Unterschrift ein Dokument rechtsgültig, mit dem den beiden Telegrafengesellschaften die Mithilfe zugesichert wurde, zu der man sich in London schon längere Zeit zuvor verpflichtet hatte. Danach konnte man mit den konkreten Maßnahmen zur Realisierung des ehrgeizigsten Projekts, das es damals auf der Welt gab, beginnen.
Das Unternehmen genoss enorme Publicity. Auf beiden Seiten des Ozeans waren die Zeitungen voller Ratschläge, wie man ein solches Kabel legen oder spannen sollte. Ein Korrespondent meinte, man solle es von Ballons herunterhängen lassen, jemand anders hielt es für besser, es an Bojen zu befestigen, die es dicht unter der Wasseroberfläche baumeln ließen; das hätte den zusätzlichen Vorteil, dass Schiffe an ihm anlegen und sich Informationen zapfen könnten. Albert, der Gatte Königin Victorias, war der Ansicht, man solle es durch eine gläserne Röhre führen. Wieder andere waren – wie im zweiten Kapitel ausgeführt – überzeugt, dass Wasser mit zunehmender Tiefe immer dichter werde und sich das darauf auswirke, wie weit Objekte nach unten sinken. Kabel würde man daher gar nicht ganz bis auf den Grund hinablassen können, sondern sie würden in einer bestimmten Schicht hängen bleiben, quasi im Wasser schweben.
Die Wissenschaftler stritten endlos darüber, was für eine Stärke ein solches Unterseekabel haben sollte: Eine dicke Kupferader leitete die erforderliche hohe elektrische Spannung am besten weiter, doch würde das Kabel durch sie auch sehr schwer werden, was zur Folge haben könnte, dass es unter seinem eigenen Gewicht brach, wenn man es ins Meer hinabließ. Am Ende entschied man sich, ein Kabel herzustellen, das so dick wie der Zeigefinger eines Mannes war, und den Kupferkern zuerst mit Guttapercha, dann mit Hanf und Teer zu ummanteln und das Ganze zuletzt mit einer Stahldrahtschicht zu armieren. Eine Meile, also etwas über sechzehnhundert Meter, eines solchen Kabels wog eine Tonne, wenn man es aber ins Wasser hinabgelassen hatte, reduzierte sich dieses Gewicht auf zirka sechshundertsieben Kilo. Im Frühsommer 1857 wurden ungefähr viertausend Kilometer dieses Kabels (wenn man die einzelnen Komponenten maß und addierte, kam man gar auf eine Länge von 547000 Kilometern) von den Herstellungsstätten in London und Liverpool an die Küste gebracht und sorgfältig auf großen Trommeln an Deck von zwei Segelschiffen, der USS Niagara und der HMS Agamemnon aufgerollt. Jedes Schiff transportierte eine Hälfte des Kabels mit einem Gewicht von ungefähr fünfzehnhundert Tonnen.
Im August segelten die Schiffe zusammen zur Insel Valentia in Südwestirland, und eine Schar kräftiger Matrosen schleppte in einer Bucht mit dem prachtvollen Namen Foilhommerum Bay ein Ende des Kabels durch die Brandung ans Ufer. Es wurden pathetische Reden geschwungen und inbrünstige Gebete gesprochen. Feuerwerkskörper wurden entzündet. Und dann stachen, von einer Flottille von Begleitschiffen umringt, die beiden zu Kabellegern umgerüsteten Segler wieder in See, wobei Meter um Meter des Kabels von den sich drehenden Trommeln ins Meer glitt. Das war der Beginn einer langen Geschichte von Unfällen, Enttäuschungen, Scherereien und von allgemeinem Chaos, die erst im folgenden Jahr zu Ende gehen sollte. Es erwies sich nämlich als unmöglich, das Kabel hinabzulassen, ohne dass dieses immer wieder brach und auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen der See verschwand.
Die Besatzungen beider Schiffe probierten alles Erdenkliche, um das Problem zu beseitigen – schließlich beschlossen sie, nicht auf einer der beiden Seiten des Ozeans, sondern in seiner Mitte zu beginnen. Die Niagara und die Agamemnon trafen sich an einem Punkt, der achthundert Meilen von der amerikanischen und ebenso viele von der irischen Küste entfernt war; dort verband man die Enden beider Kabel miteinander, und die Schiffe segelten dann in entgegengesetzter Richtung, also nach Westen und nach Osten, los. Doch sie gerieten von einer brenzligen Situation in die andere, vor allem wurden sie von schweren Stürmen heimgesucht, wie sie seit Menschengedenken Mitte des Sommers
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