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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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entwickeln, die auf einen ständigen Informationsfluss und die Übermittlung von Wissen angewiesen war.
    Das Schiff mit der Meldung vom Tod König Georgs II. von England im Jahr 1760 wurde sechs Wochen von den Wellen des Ozeans hin und her geworfen, bis es sie endlich den Kolonisten in der Neuen Welt überbringen konnte. Ein Jahrhundert später, während des Bürgerkriegs, ging die Übertragung von Nachrichten auf dem See- oder Wasserweg nicht sehr viel schneller vonstatten. Zwar war inzwischen der elektrische Telegraf erfunden worden; dieser erleichterte aber nur die Kommunikation zwischen Orten auf dem festen Land, wo Pfähle aufgestellt und Leitungen zwischen ihnen gespannt werden konnten. Um Meldungen möglichst rasch über das Meer hinweg weiterzuleiten, musste man sich einiges einfallen lassen: Die Londoner Zeitungen besorgten sich ihre Nachrichten aus Amerika, indem sie Bulletins an möglichst weit ins Meer ragende Kaps an der Küste Neufundlands übermitteln ließen; Abschriften davon wurden von dort aus mit Ruderbooten zu nach England abgehenden Dampfschiffen gebracht. Dieser Prozess wiederholte sich in umgekehrter Reihenfolge an der irischen Küste; die schriftlich festgehaltenen Meldungen wurden mit kleinen Booten zur nächstgelegenen Telegrafenstation befördert und von dort aus nach London durchgegeben. Dieses mühselige Verfahren stellte keine große Verbesserung gegenüber früher dar: Man erreichte lediglich, dass ein Bericht über Antietam oder Gettysburg oder General Shermans Marsch durch Georgia jetzt schon zwei Wochen, nachdem es zu dem betreffenden Ereignis gekommen war, in den Ämtern von Whitehall oder den Klubs an der Pall Mall zur Kenntnis genommen werden konnte.
    Auch marginale Fortschritte hinsichtlich der Geschwindigkeit, mit der man informiert wurde, blieben niemals unbeachtet. Einzelheiten über die Kämpfe am 4. Juli 1864 in Virginia wurden schon am 16. des Monats in The Times veröffentlicht. Als Präsident Lincoln im April 1865 von einem Attentäter erschossen wurde, wurde die Meldung ebenfalls erst per Telegraf an einen Ort an der Küste weitergegeben und dort mit der Hand abgeschrieben. Diese Abschrift steckte man in eine Ledertasche, die versiegelt und zum Dampfschiff Nova Scotian gerudert wurde. Als das Schiff vor der Küste von Donegal kurz beidrehte, wurde die Sendung von Bord geholt und zum nächstgelegenen Postamt gebracht, von wo aus sie dann weitergeschickt und zum Druck befördert wurde. Die Nachricht vom Tod Lincolns konnte auf diese Weise den schockierten und bestürzten Londonern zwölf Tage nach dem Attentat zur Kenntnis gebracht werden – und nicht nur die Nachricht selbst erregte Aufsehen, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der sie nach England gelangt war.
    Es stand aber fest, dass man eine schnellere Kommunikationsmethode entwickeln musste, und ebenso, dass dem vor Kurzem erfundenen Telegrafen dabei – nicht nur auf dem Land – eine Schlüsselrolle zukommen würde. Und eine Schlüsselposition – im wörtlichen Sinn – würde auch die kaum erforschte, vom Wind zerzauste Insel spielen, deren einzige Besonderheit bis dahin darin bestand, nach Grönland, Island und Irland die größte im Atlantik zu sein: die britische Kronkolonie Neufundland. Gegen Mitte des Jahrhunderts begann eine kleine Gruppe von Unternehmern, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Übertragung von Nachrichten über den Atlantik zu beschleunigen, ihre Aufmerksamkeit auf diese Insel zu konzentrieren, und zwar deswegen, weil sie der Teil des gesamten nordamerikanischen Territoriums war, der Europa am nächsten lag. Von der Hafeneinfahrt des Städtchens St. John’s bis zu den Klippen von Connemara waren es nicht mehr als sechzehnhundert Meilen.
    Im August 1850 war ein Telegrafenkabel zwischen Großbritannien und Frankreich auf den Grund des Ärmelkanals hinabgelassen worden, und in der Zeit danach waren Großbritannien und Holland sowie Schottland und Irland auf dieselbe Weise miteinander verbunden worden. Vielleicht konnte ein solches Unterseekabel auch über den Grund der Cabotstraße, die zwischen dem Sankt-Lorenz-Golf und dem Atlantik verläuft, geführt werden. Wenn man dieses dann mithilfe von Überlandleitungen mit den Städten St. John’s und Halifax verband, benötigte man nur noch eine Flotte von schnellen Dampfern, die regelmäßig zwischen Neufundland und Irland verkehrten, und man würde alle möglichen Botschaften in nur sieben Tagen von New York nach London übermitteln

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