Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
können.
    Das war der Zeitpunkt, zu dem der fünfunddreißig Jahre alte Cyrus West Field, der begüterte Spross einer Familie von Papierfabrikanten aus den Berkshire Hills im Westen von Massachusetts auf den Plan trat. Der Hauptfinanzier des Neufundlandprojekts hatte ihn aufgesucht in der Hoffnung, ihn zu einer Investition überreden zu können. Field empfing den Mann mit der gebührenden Höflichkeit, sagte, dass er sich die Sache durch den Kopf gehen lassen wolle – und als er dann am Abend lesend in seiner Bibliothek saß, ließ er geistesabwesend einen Globus kreisen. Es war ein Globus von bescheidener Größe, und Field fiel plötzlich auf, dass er sowohl die Entfernung zwischen Neufundland und Irland als auch die zwischen New York und London mit einer Hand überbrücken konnte.
    Und dann begriff er, dass man, anstatt ein Kabel durch die Wildnis von Neufundland und Nova Scotia zu führen, es dann dort enden zu lassen und so ein paar Tage Übermittlungszeit einzusparen, eines direkt von Neufundland nach Irland legen könnte, auf dem Grund des Atlantiks, dort, wo die gewaltige Wasserfläche am schmalsten war. Wenn sich das als möglich erweisen sollte, würde die Zeit, die man benötigte, um Nachrichten zwischen den beiden größten Städten des 19. Jahrhunderts hin und her zuschicken, sich von mehreren Tagen auf wenige Sekunden verringern.
    Field besaß weder technischen Sachverstand noch irgendwelches Fachwissen, was unterseeische Telegrafenverbindungen betraf – doch er wandte sich sofort brieflich an zwei Experten auf diesem Gebiet. Der eine war Samuel Morse, der den nach ihm benannten Code für elektrische Schreibtelegrafen entwickelt hatte, der andere Matthew Fontaine Maury von der US-Navy, dessen Erkundungen und Vermessungen des Ozeans die Existenz eines riesigen Plateaus in dessen Mitte, der Mittelatlantischen Schwelle, ergeben hatten. Beide Männer teilten Field mit, dass seine Idee sich verwirklichen lasse. Morse hatte bereits zwei Jahre mit im Boden des New Yorker Hafens versenkten Leitungen experimentiert und die US-Regierung davon in Kenntnis gesetzt, dass »eine Kommunikation mithilfe der elektromagnetischen Telegrafie mit Sicherheit über den Atlantischen Ozean hinweg eingerichtet werden könnte«. Maury, der sich in seliger Unkenntnis darüber befand, dass es sich bei der Mittelatlantischen Schwelle um eine den Rocky Mountains ähnelnde Aneinanderreihung von spitzen Felsen mit dazwischenliegenden tiefen Tälern handelte, hatte Field mit Bezug auf das von ihm entdeckte Plateau geschrieben, dass es »eigens zu dem Zweck dort platziert worden zu sein schein[e], die Kabel eines unterseeischen Telegrafen aufzunehmen und vor Beschädigungen zu schützen«.
    Folglich wurde im Mai 1854 die New York, Newfoundland and London Telegraph Company gegründet und zwei Jahre später in London die Atlantic Telegraph Company. 51 Beide widmeten sich zunächst der Aufgabe, die für die Realisierung des Projekts erforderlichen Geldmittel zusammenzubringen. Der Vorsitzende der amerikanischen Gesellschaft war Peter Cooper, ein Mann, der überzeugt war, dass das, was er zu tun im Begriff war, der ganzen Welt zum Guten gereichen würde.
    Die britische Regierung war wie elektrisiert von dem Plan und bot an, die für die Verlegung vorgesehene Strecke genau zu erkunden und vielleicht sogar Schiffe zur Verfügung zu stellen, die bei den Arbeiten assistieren könnten. Außerdem erklärte sie sich bereit eine Gebühr zu zahlen für den Fall, dass ihre offiziellen Botschaften Priorität gegenüber allen anderen erhalten würden. Die Amerikaner traten hingegen in eine viel intensivere Debatte bezüglich der ganzen Angelegenheit ein; sie meldeten Zweifel an, ob das Projekt sinnvoll und seine Realisierung wünschenswert sei.
    Ein derartig intimer Kontakt mit der Alten Welt wurde nicht von jedermann in der Neuen gern gesehen. Thoreau, dieser knurrige Erzmisanthrop, meinte bissig, dass einen Tunnel unter dem Meeresboden zu graben, wie er es formulierte, um ein Kabel zur Kommunikation in ihm unterzubringen, kaum der Mühe lohne, wenn vor allem Mitteilungen wie »Prinzessin Adelaide hat Keuchhusten« Amerika erreichen würden. In den USA herrschte immer noch eine postrevolutionäre Stimmung, und die Wut darüber, dass die Briten 1814 während des Krieges die öffentlichen Gebäude in Washington in Flammen hatten aufgehen lassen, war noch nicht verflogen. Vor allem im Süden des Landes herrschte eine regelrechte Anglophobie, und man

Weitere Kostenlose Bücher