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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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engsten mit der Erfindung assoziiert. Wie Thomas Edison später gegenüber Skeptikern immer wieder erklärte: »Marconi ist derjenige, welcher.«
    An Skeptikern war kein Mangel, als Marconi gegen Ende des Jahres 1901 bekanntgab, dass er versuchen werde, ein Funksignal, wie er es nachweislich bereits über den Ärmelkanal und die Bucht von Biskaya sowie zu und von auf See befindlichen Schiffen gesandt hatte, auch über den ganzen Atlantik hinüberzuschicken. Sie meinten, das sei technisch unmöglich (wegen der Krümmung der Erdoberfläche) und in moralischer Hinsicht verwerflich. (Dieses Argument wurde von der Atlantic Telegraph Company des seligen Cyrus Field vorgebracht, die ein fünfzig Jahre währendes Monopol auf transozeanische Telegrafie hielt, das erst in zwei Jahren erlöschen würde.)
    Doch der siebenundzwanzigjährige Marconi scherte sich nicht um das ganze Geunke und Gemeckere, obwohl seine ersten Versuche unter keinem günstigen Stern gestanden hatten: Zwanzig in Cornwall errichtete Antennen waren von einem Sturm umgeweht worden, und ein Experiment mit einem Ballon, der auf Neufundland die Antenne hoch in die Luft tragen und dort halten sollte, war gescheitert, da dessen Hülle geplatzt war.
    Und jetzt versuchte er es erneut. Es war kurz nach Mitternacht, stockfinster, kalt und windig; der 12. Dezember 1901 ein Donnerstag, war gerade angebrochen. Marconi saß auf dem Gipfel des heute als Signal Hill bekannten Bergs vor einem Tisch und schaute auf die blinkenden Lichter der Hafeneinfahrt von Neufundlands größter Stadt hinab. Sein Notizblock wurde vom Schein einer Fackel beleuchtet, und er lauschte aufmerksam den Lauten, die aus einem Ohrhörer drangen, der an ein großes, merkwürdiges Gerät mit lauter Röhren und Skalen angeschlossen war, welches wiederum mit einem – im Dunkeln unsichtbaren – Draht verbunden war, der zu einem großen Drachen emporführte, den ein Assistent mithilfe der kräftigen atlantischen Brise in eine Höhe von fünfzehnhundert Metern hatte aufsteigen lassen.
    Im mehr als achtzehnhundert Meilen entfernten Cornwall hatte sich auf einem flachen Hügel bei dem Dörfchen Poldhu, ganz in der Nähe von Klippen, die bedrohlich steil zum tosenden Wasser des Ärmelkanals hinabfielen, eine zweite Gruppe von Männern versammelt. Es waren die Auftraggeber Marconis, und sie drückten abwechselnd auf eine Taste aus Bakelit und Kupfer an einem ähnlichen Gerät wie dem, das Marconi in St. John’s vor sich stehen hatte. Sie gaben immer wieder das Morsesignal für den Buchstaben S durch: kurz-kurz-kurz, gefolgt von einer Pause, und dann noch einmal kurz-kurz-kurz. In Cornwall war es früher Morgen und noch dunkel. Im Osten kündete nicht der geringste Schein vom Anbruch eines neuen Tages, und alle waren müde.

    Der riesige Dampfsegler Great Eastern war 1858 als Passagierschiff vom Stapel gelaufen, aber wegen Unwirtschaftlichkeit – er hätte bis zu 4000 Personen befördern können, war aber auf keiner Reise auch nur annähernd ausgelastet – zeitweise außer Dienst gestellt, bevor er 1865 zum Kabelleger umgerüstet wurde. Im Bild die Trommeln, über die das Telegrafenkabel Meter um Meter in die Tiefe glitt.
    Dann legte sich, wie seine Assistenten sich erinnerten, plötzlich ein Lächeln auf Marconis angestrengt und konzentriert aussehendes Gesicht. Er rief einen von ihnen herbei und hielt ihm mit einem Grinsen den Ohrhörer hin: »Horchen Sie doch mal, ob Sie was hören, Mr Kemp!« Und der längst vergessene Mr Kemp presste den Empfänger an sein Ohr und hörte, wie er meinte, über das statische Knistern und Knacken und das Sausen des immer stärker werdenden Sturms und all die anderen elektrischen und mechanischen Geräusche hinweg, zwar schwach nur, aber immer wieder, die drei kurzen Signaltöne für den Buchstaben S. Sie drangen genau in dem Moment aus dem Hörer, in dem die Männer im weit entfernten Cornwall das verabredete Signal mit der Taste ihres Geräts eingaben.
    Es war geschafft. Der Kreis hatte sich geschlossen: Menschen konnten einander endlich über Tausende Meilen eines vom Sturm aufgewühlten Meeres hinweg Nachrichten senden – und eines Tages sogar miteinander sprechen, und zwar in perfekter Synchronität, so, als ob sie in einer Stadt von der gegenüberliegenden Seite einer Gasse aus ein Gespräch führten oder sich über eine Wiese hinweg etwas zuriefen.
    Es gab einiges abschätziges Gerede und sogar aufgebrachtes Gepoltere. Die Atlantic Telegraph Company stimmte ein

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