Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
zuverlässig über den Ozean beförderten. Und ein neues Wort hielt bald ins englische Vokabular Einzug: Da alle Schiffe Reedereien gehörten, die – genau wie die Postkutschen-Unternehmen es taten, um regelmäßige Überlandfahrten nach genauem Zeitplan gewährleisten zu können – eine line , eine Linie oder Reihe von Schiffen, eines nach dem anderen, auf die Reise schickten, wurden diese Schiffe unter der Bezeichnung liners bekannt. Sie waren transatlantic liners – die ersten einer Riesenschar von Handels- und Passagierschiffen unterschiedlichsten Typs, wie sie heute noch gewinnbringend auf allen Weltmeeren verkehren.
Nur ein Jahr und fünf Monate nachdem die James Monroe zum ersten Mal aus dem New Yorker Hafen ausgelaufen war, kam es in einem weiter im Süden gelegenen amerikanischen Hafen zu der Abfahrt eines anderen Schiffs, die ähnliche Bedeutung hatte. Bei diesem Schiff handelte es sich um die Savannah ; sie war zwar auf einer Werft in New York gebaut worden, stach aber am 22. Mai 1819 vom Hafen der Stadt in Georgia aus in See, deren Namen sie trug; ihr Ziel war, wie das der meisten ostwärts über den Atlantik fahrenden Schiffe der damaligen Zeit, Liverpool. Was die Reise der Savannah denkwürdig werden ließ – und der Grund dafür ist, dass der Tag ihrer Abfahrt heute noch in Amerika, allerdings nur auf dem Papier, als National Maritime Day begangen wird –, ist die Tatsache, dass zusätzlich zu den üblichen drei Masten eines Hochseeklippers ein oben wie ein Trinkhalm gebogener Schornstein auf ihrem Deck aufragte und sich unter den Decksplanken in der Mitte des Rumpfes eine Dampfmaschine von neunzig Pferdestärken Leistung verbarg. Die Savannah war das erste Schiff, das den Atlantik von einer solchen Dampfmaschine angetrieben überquerte.
Diese Maschine, die nur ein Viertel des Raums einnahm, den die Antriebsaggregate der meisten modernen Schiffe beanspruchen, setzte zwei genial konstruierte große Schaufelräder in Bewegung, die an den gegenüberliegenden Enden einer Achse befestigt waren, welche durch den Rumpf hindurchführte. Diese Räder konnten aber auch abgenommen und auf Deck verstaut werden. Obwohl die Dampfmaschine auf ihrer ersten Fahrt nur achtzig Stunden lang zum Einsatz kam, legte das Schiff die Strecke von der Mündung des Savannah River bis zur irischen Küste in durchaus respektablen dreiundzwanzig Tagen zurück. Ihr Betrieb erwies sich aber als unwirtschaftlich, und es dauerte weitere zwanzig Jahre, bis Schiffsmaschinen so effizient geworden waren, dass es sich in finanzieller Hinsicht lohnte, auf den kostenlosen Antrieb durch die Kraft der Winde zu verzichten. Doch schon 1819 wurde die Fahrt der Savannah als Pionierleistung anerkannt, und sie leitete tatsächlich eine völlig neue Art des Reisens auf See ein. Sie mag in einer wenig spektakulären Zeit von dreiundzwanzig Tagen über den Atlantik gestampft sein, doch etwas mehr als ein Jahrhundert später würden ihr nicht vollkommen unähnliche Dampfschiffe dieselbe Strecke in weniger als drei zurücklegen.
5. Die Weitergabe von Wissen
D ie in einen raschen Modernisierungsprozess eingetretene Welt war aber nicht nur auf den Transport von Fracht und Menschen von einer Seite des Ozeans zur anderen angewiesen. Die riesige leere Wasserfläche wurde zunehmend auch als Datenhighway, wie man es heute nennen würde, benutzt, also als etwas, das der Übermittlung von Wissen, dem Austausch von Informationen jeder Art – von Nachrichten, Liebeserklärungen, Geburtsanzeigen, Mitteilungen zu Schiffsbewegungen, Aktienkursen, Meldungen vom Sturz von Regierungen oder dem Tod von Monarchen – zwischen Menschen, die an den Rändern des Meeres, aber auch weit im Landesinneren lebten, dienen konnte.
Alle diese Informationen wurden plötzlich dringend benötigt, denn zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte die Welt sich schon gewandelt und war auf dem Weg, sich zu dem riesigen global village zu entwickeln, das sie heute ist. Der Austausch von Informationen zwischen Philadelphia und Peterborough, Brasilien und Belgien, Moskau und Montevideo war genauso wichtig wie früher der zwischen Dorfschmied und Dorfpolizist oder dem Gastwirt eines Ortes und dem Küster. Damit in einer Gemeinde alles reibungslos funktionierte, war es immer erforderlich gewesen, dass die einzelnen Mitglieder miteinander kommunizierten, und jetzt, da die Völker der Welt sich aufgrund von Migrationswellen zunehmend mischten, begann sich eine Art von globaler Gemeinde zu
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