Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Wolken, die dieses so oft den Blicken entziehen. Diesen Menschen ist der Ozean zumeist gleichgültig, seine Existenz an sich interessiert sie nicht. Er ist lediglich eine Fläche, die man überqueren muss: der Große Teich , wenn die Überquerung schnell und problemlos gelingt, falls nicht, wenn das Flugzeug ärgerlicherweise länger als vorgesehen unterwegs ist, dann kommen andere noch weniger schmeichelhafte Namen ins Spiel.
Dass es mittlerweile so preiswerte Möglichkeiten zu transozeanischen Reisen gibt, hat dem Meer viel von seiner geheimnisvollen Aura geraubt, es hat uns indifferent gegenüber seiner Existenz gemacht. Da die Überquerung eines Ozeans für die meisten zu einer öden Angelegenheit geworden ist, ist auch an den Ozeanen selbst nichts Interessantes, nichts Aufregendes mehr. Einst wurden sie gefürchtet, sie flößten Ehrfurcht und Staunen ein, waren rätselhaft. Jetzt stellen sie für viele nur noch eine Barriere dar, ein ärgerliches Hindernis – sie sind zu groß, um sie richtig in den Blick nehmen zu können, zu störend, als dass sie Beachtung oder Achtung verdienten. Die Einstellung der Öffentlichkeit den großen Meeren gegenüber hat sich gewandelt – und dieser Wandel hat Konsequenzen für die Meere gehabt, in der Mehrheit keine positiven.
Er hat insbesondere dazu beigetragen, die Bühne für das zu bereiten, was, wie einige befürchten, die letzten Phasen in der Beziehung des Menschen mit dem Ozean sein könnten. Das ist natürlich nichts Neues. Der Mensch hat die Meere seit vielen Jahrzehnten bedenkenlos ausgeplündert und ausgebeutet. Seitdem die erste Fabrik am Ufer eines Ozeans errichtet wurde, seitdem das erste Abflussrohr von einer Hafen- oder Industriestadt in ihn hineingeführt wurde und seitdem wir entweder aus Nachlässigkeit oder in voller Absicht angefangen haben, unseren Müll in diese riesige Senkgrube zu kippen und unsere chemischen Abwässer in sie hineinzuleiten, haben wir den Hang zu erkennen gegeben, diesen Gewässern Gewalt anzutun, sie zu ruinieren. Mit dem Land, auf dem Land müssen wir leben, daher schenken wir ihm einen gewissen Grad an Aufmerksamkeit. Der Ozean liegt im Unterschied dazu weitgehend außerhalb unseres Blickfeldes. Er dünkt uns so groß, so riesig, dass er – das glaubten wir zumindest, und viele tun es weiterhin – auch ein großes Maß an Misshandlung ertragen kann.
Im 19. Jahrhundert kam uns hingegen der Ozean immer noch als etwas Gewaltiges und Erschreckendes vor, wir sahen ihn noch mit einer Art scheuem Respekt an. Das ist nicht mehr so. Passagierflugzeuge haben seine immense Ausdehnung auf eine beherrschbare Größe zusammenschrumpfen lassen, und dabei ist auch unsere Fähigkeit zusammengeschrumpft, von ihm beeindruckt zu sein. Es gibt jedoch Menschen, die den Ozean auf eigene Faust überqueren, und solche Fahrten sind im Sommer schon fast Routine geworden. Die Route für Segelschiffe, die von Cornwall nach Westen an den Azoren vorbei bis in die Karibik führt, gilt als so leicht zu bewältigen, dass sie von den abgebrühtesten und frauenfeindlichsten Seglern abschätzig als »the ladies’ route« bezeichnet wird. Einige haben Gefallen daran gefunden, den Atlantik in einem Ruderboot zu bewältigen, erst zu zweit, dann alleine. Eines Tages wird jemand, der über viel freie Zeit verfügt und bereit ist, sich mit kübelweise Fett einschmieren zu lassen, vermutlich den Versuch unternehmen, ihn schwimmend zu überqueren. Der Ozean stellt keine solche Herausforderung zu seiner Bezwingung mehr dar wie einst.
Und synchron zu diesem Wandel seiner Wahrnehmung hat sich ein anderer Prozess vollzogen: Das Gefühl des Menschen, dazu verpflichtet zu sein, sich um den Ozean zu kümmern, hat sich abgeschwächt, einige würden sagen, es ist dem Menschen abhanden gekommen. Das ist in Bezug auf den Mount Everest auch schon geschehen. Das Basislager bei Thyangboche ist zu einem Slum verkommen, und die Hauptroute ist mit allem möglichen Abfall bedeckt; sogar auf dem Gipfel liegen genauso viele weggeworfene Gegenstände herum, wie dort Fahnen flattern. Und jetzt tun wir den Weltmeeren etwas ganz Ähnliches an; wir gehen auf eine allzu sorglose Weise mit ihnen um.
Die Ozeane sind, ohne dass wir es beabsichtigen oder realisieren, ständigen Angriffen von unserer Seite aus ausgesetzt, in einem Grad wie noch nie zuvor. Da der Atlantik derjenige ist, den wir am meisten ausbeuten, überqueren und plündern, ist er gegenwärtig am meisten gefährdet. Wenn auch vor
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