Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Albert Cushing Read, der mit einem Wasserflugzeug die Strecke bis zu den Azoren zurücklegte, dort eine Woche verweilte und dann nach Portugal weiterflog. Er brauchte elf Tage dafür, und auf der Route, die er vorher festgelegt hatte, waren amerikanische Kriegsschiffe stationiert, eines alle fünfzig Meilen. Lord Northcliffe hatte aber verfügt, dass nur jemand, der die ganze Strecke nonstop zurücklegen würde, und zwar in weniger als zweiundsiebzig Stunden, die zehntausend Pfund ausgezahlt bekommen sollte. Read erhielt sie also nicht und ebenso wenig ein australischer Draufgänger namens Harry Hawker, der mit einem experimentellen Langstreckenflugzeug, einer Sopwith Atlantic, angetreten war. Als der Motor seines Flugzeugs fünfhundert Meilen vor der irischen Küste überhitzte, nahm Hawker, als er einen nach Osten fahrenden Dampfer sichtete, eine Notwasserung vor und fuhr auf dem Seeweg in die Heimat zurück. Weil das Schiff noch nicht mit Funk ausgerüstet war, konnte man Hawkers Familie nicht von seiner Rettung in Kenntnis setzen. Stattdessen erhielten die entsetzten Eltern ein offizielles Telegramm mit schwarzem Rand, in dem der englische König Georg ihnen sein Beileid zum Verlust ihres Sohnes aussprach. Die gute Nachricht traf erst später ein.
Die schneidigen Flieger – John Alcock in einem Anzug aus blauem Serge und Brown in seiner RAF-Uniform – machten sich mit achthundertfünfundsechzig Gallonen Treibstoff und zwei schwarzen Kätzchen, die sie Twinkletoes und Lucky Jim getauft hatten, am Morgen des 14. Juni 1919, einem Samstag, auf den Weg. Sie hatten mit entsetzlichen Problemen zu kämpfen: In einer Höhe von zwölftausend Fuß froren ihre Instrumente ein, ihr Funkgerät quittierte den Dienst, das Abgasrohr brach, und Brown musste sich sogar auf einen Flügel hinaushangeln, um ihn von Eis zu befreien. Sie verloren die Orientierung, als sie nach den Sternen zu navigieren versuchten, und sackten einmal durch die Wolkendecke hindurch nach unten, bis sie beinahe auf der Wasseroberfläche aufgeprallt wären. Als sie endlich die irische Küste unter sich liegen sahen, konnten sie erst keine Stelle ausmachen, die eben genug war, um auf ihr niederzugehen. Schließlich entdeckten sie die Masten einer Funkstation und flogen ein paarmal um die Gebäude herum, ohne dass sie es schafften, jemanden aufzuwecken: Es war acht Uhr an einem Sonntagmorgen in Irland, und die Nachwirkungen des am Abend zuvor reichlich genossenen Guinness waren wohl zu stark, als dass die Männer auf diese Notsignale hätten aufmerksam werden können. Sie hielten daher auf ein vermeintliches Feld zu, das sich aber als Torfmoor entpuppte, und endeten mit der Nase ihrer Maschine in schwarzen Morast gebohrt.
Der Ort ihrer Bruchlandung war im County Galway, in der Nähe des Dörfchens Clifden. Als die Leute von der Funkstation endlich aufwachten und begriffen, wer ihnen da vor die Füße geplumpst war, meldeten sie das Gelingen des ersten Transatlantikflugs telegrafisch nach London. Die beiden Piloten wurden über Nacht berühmt und reich, und wenige Wochen später schlug der König sie zum Ritter. Nur ein Jahr nach ihrem Triumph kam Sir John Alcock bei einem Flugunfall ums Leben, während sein Partner bis 1948 lebte. Sie hatten den Ozean ohne Zwischenstopp überquert, und zwar in sechzehn Stunden und siebenundzwanzig Minuten. Als der wesentlich mehr auf Show bedachte und populärere Charles Lindbergh 1927 mit der Spirit of St. Louis den Atlantik von Long Island bis Le Bourget im Alleinflug überquerte, zollte er Brown und Alcock Tribut, indem er sagte, sie hätten ihm den Weg gewiesen. Die Flugpionierinnen Amy Johnson und Beryl Markham, die – jede für sich – in den dreißiger Jahren ähnliche Transozeanflüge unternahmen, zeigten sich weniger generös.
Der Nordatlantik wird von den beiden Kontrollzentren, die für den Luftraum über ihm zuständig sind, offiziell als »für die Zivilluftfahrt mäßig gefährliche« Region geführt. Er ist groß, es gibt keine Navigationshilfen und keine Relaisstationen für den Funkverkehr – was bedeutet, dass ein Passagierflugzeug für einen beträchtlichen Teil der Zeit, die es für den Überflug benötigt, auf sich allein gestellt ist. Wenn es mitten über dem Ozean Probleme bekommt, dann sieht es wirklich finster aus. Das ist eine Erkenntnis, die denen, deren Aufgabe es ist, Menschen und Fracht von einer Küste zur andern zu befördern, Respekt einflößt. Was einem wohlbehalten an seinem Ziel
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