Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
angelangten Passagier als reine Routine, als sich tagtäglich wiederholender Vorgang erscheint, ist in Wirklichkeit Ergebnis intensiver Planung.
John Alcock (links) und Arthur Whitten Brown vor dem Bomber vom Typ Vickers Vimy, mit dem sie – in Gesellschaft von zwei Katzen – im Juni 1919 als Erste den Atlantik ohne Zwischenstopp überquerten.
© Hulton Archive/Getty Images
British Airways Flight 113, den ich mir zu einer näheren Untersuchung ausgewählt hatte, war ein ganz gewöhnlicher Flug für Geschäftsleute und Touristen, der am 30. Januar 2009 um drei Uhr fünfzehn in London abging und sieben Stunden und fünfzehn Minuten später, also gegen halb sechs Ortszeit, auf dem New Yorker Kennedy Airport eintreffen sollte. Die Maschine mit der Leitwerksnummer G-YMMO war bei Standplatz 555 geparkt, eine zwei Jahre alte Boeing 777-300ER, eine spezielle Variante für Langstreckenflüge des allgemein geschätzten Großraumflugzeugs der Firma, mit Rolls-Royce-Trent-Turbinen ausgerüstet. Sie war gerade von Singapur hereingekommen und in der Zeit davor auf den Strecken nach Toronto und Sydney eingesetzt worden. Es handelte sich also um ein regelrechtes Arbeitspferd, das regelmäßig lange Strecken absolvierte und an die Überquerung des Atlantiks »gewöhnt« war.
An jenem Flugtag im Januar war es zu zwei ungewöhnlichen Ereignissen gekommen: In der Nacht hatte eine Maschine, die mit Kurs Norden in Johannesburg gestartet war, es über Spanien mit mechanischen Schäden zu tun bekommen und in Madrid notlanden müssen. Die Londoner Angestellten der Gesellschaft bemühten sich jetzt angestrengt, eine Ersatzmaschine loszuschicken, die die gestrandeten Passagiere und eine große Menge Goldes, wie sie sich anscheinend häufig im Frachtraum von Maschinen befand, die in Johannesburg abhoben, an Bord nehmen sollte. Die Flughafenpolizei in Madrid veranstaltete einen ziemlichen Wirbel, weil sie wusste, dass ungemünztes Gold im Wert von vielen Millionen Dollar eine große Versuchung für einheimische Kriminelle darstellen würde, falls sich die Nachricht herumspräche. Und da fast jeder Passagier ein Handy bei sich hatte, war es unwahrscheinlich, dass es für längere Zeit ein Geheimnis bleiben würde, was für ein Schatz sich im Laderaum der Maschine befand.
Die andere »Unregelmäßigkeit« bestand darin, dass gerade ein Interimsbericht über die geringfügig ältere Schwester von G-YMMO mit der Kennung G-YMMM veröffentlicht worden war, die beinahe genau ein Jahr zuvor beim Anflug auf den Flughafen Heathrow abgestürzt war. Es war immer noch rätselhaft, warum die Treibstoffzufuhr dieser Maschine anscheinend plötzlich ausgesetzt hatte, und sie, wie der Pilot es später ausdrückte, »einfach runtersackte«, als der Landevorgang eingeleitet worden war. Die Leute vom Operationszentrum gaben sich alle Mühe, mir klarzumachen, dass die genauen Ursachen für den Unfall zwar noch nicht ermittelt worden waren, dass eine Wiederholung jedoch rein statistisch gesehen höchst unwahrscheinlich sei.
Achtzehn Seiten mit briefing notes , relevanten aktuellen Informationen, wurden dem Kapitän ausgehändigt, als er und seine Crew drei Stunden vor dem Abflug eincheckten. Auf dem Start- und dem Zielflughafen ging alles seinen gewohnten Gang – in Heathrow waren auf einer Rollbahn ein paar Lichter ausgefallen, auf dem Kennedy Airport wurden am Ende einer Landebahn Bauarbeiten vorgenommen, sonst aber gab es keine größeren Vorkommnisse. Und das traf im Großen und Ganzen auch auf die alternativen Zielflughäfen zu, auf Philadelphia, Boston und Newark, abgesehen davon, dass es für Maschinen, die Boston ansteuerten, kleinere Probleme mit der Navigation gab. Was alternative Flughäfen en route betraf, so verursachten in Cardiff und Birmingham Hooligans mit Laserpointern, die sie auf Flugzeuge im Landeanflug richteten, gelegentlich Störungen, außerdem hatte man bei St. John’s mit starkem Seitenwind und Turbulenzen zu rechnen, während sich bei Goose Bay auf Labrador das Flughafenpersonal im Streik befand, was bedeutete, dass die Landebahn nicht vollständig vom Schnee geräumt worden war und der Airport deswegen geschlossen werden musste.
Was das Wetter während unseres Flugs betraf, so konnte man davon ausgehen, dass es so sein würde wie üblicherweise gegen Ende Januar: starke südliche Winde in großen Höhen über Heathrow, die bis zirka fünfhundert Meilen vor der irischen Küste anhalten würden. Danach würde es sich bewölken,
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