Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Restriktionen solcher Art – »Eine Sperrstunde? Hier oben? Sie machen wohl Witze!« –, und der Flughafen nimmt stolz für sich in Anspruch, ein, wie man es dort ausdrückt, »Rettungsboot für Fluggesellschaften« zu sein, ein Sanktuar, wo man im übertragenen Sinn jederzeit an den Davits bereitsteht, um bei jeder Art von Problemen, die bei einem Flug auftreten können, zu Hilfe zu kommen. »Wir werden mit allem fertig«, pflegen die Flughafenmanager zu sagen. »Mit mechanischen Defekten, Navigationsproblemen, ausgerasteten Passagieren, Bombendrohungen, Entführungen und was einem sonst noch so einfällt. Wir sind ausgebildet, wir sind vorbereitet. Egal, zu welcher Zeit, bei welchem Wetter, egal, woran es hapert, wir hier in Gander kriegen alles hin.«
Speedbird 113 sollte planmäßig ungefähr drei Stunden auf seinem Flug auf die andere Seite des Ozeans in der irrealen Welt des ozeanischen Kontrollsektors verbringen, einem Ort, in dem alles von den kontinuierlich schwächer werdenden Kurzwellenfunksignalen von Gander und Shanwick bestimmt wurde. Für die Passagiere, die vor der gepanzerten Tür zum Cockpit sitzen, ist der Ozean unter ihnen weniger eine sich räumlich ausdehnende Fläche als eine Art von Zeitstrecke, eine Periode der Langeweile, die man über sich ergehen lassen muss. Er ist ein Raum ohne Markierungen, ohne erkennbare Orientierungs- oder Wegpunkte. Auch die Technik, die alles und alle in der Luft hält, ist nicht wahrnehmbar, wenn man von den Tragflächen und den ständig leise vor sich hin grummelnden Turbinen absieht. Wenn hier oben etwas passieren würde – wenn eine der Turbinen in Brand geriete oder der Druck in der Kabine plötzlich absänke –, könnte der Pilot während der meisten Zeit des Flugs entweder umdrehen oder auf einen der beiden Ausweichflughäfen zuhalten, die so nahe an seiner Route liegen, dass es möglich wäre, sie zu erreichen – Keflavik auf Island oder Narsarsuaq im südlichen Grönland.
Das würde aber wirklich nur für die meiste Zeit des Flugs zutreffen. Es gibt auf der Transatlantikroute einen relativ kurzen Abschnitt – der auf diesem speziellen Flug als eine ungefähr fünfhundert Meilen lange Linie zwischen den Längengraden 25 Grad West und 44 Grad West gekennzeichnet war, eine Entfernung, die man in ungefähr einer Stunde zurücklegt –, auf dem es vollkommen unpraktikabel wäre, den Versuch zu unternehmen, einen Ausweichflughafen anzusteuern. Wenn man sich zwischen diesen beiden Längengraden befindet, sind sowohl Keflavik als auch Narsarsuaq weiter entfernt als alle Flughäfen, die entweder hinter einem liegen oder vor einem auf dem Kontinent, zu dem man unterwegs ist. Der einzige Ausweg aus einer ernsten Lage würde auf diesem Streckenabschnitt für die Piloten darin bestehen, weiter geradeaus zu fliegen, die Ruhe zu bewahren, um der Passagiere willen einen gelassenen Eindruck zu machen und bei entsprechender Veranlagung zu beten und zu hoffen. Diese paar hundert Meilen stellen bei jeder Überquerung des Atlantiks den bei Weitem gefährlichsten Teil dar. Und was die Männer betrifft, die die Maschinen steuern, so ist dies der Streckenabschnitt, auf dem mangelnder Respekt vor dem Meer da unten verfliegt.
Mit der Maschine, in der ich an jenem Tag saß, gab es keine Probleme, und zum Glück kommt es heutzutage nur selten zu solchen. Es hatte unterwegs kaum Turbulenzen oder unerwartete Kursabweichungen gegeben; die Landung verlief so normal, wie der Start es gewesen war. Wir setzten pünktlich auf der Rollbahn von Kennedy Airport auf, und als ich in der baggage area gegenüber dem Kommandanten erwähnte, dass ich ein wenig nervös gewesen war, solange wir uns in der kritischen Zone befunden hatten – ich nannte sie »tote Zone« –, lachte er und meinte: »Das ist einfach der Ort, wo wir aufmerksam und wachsam bleiben müssen.«
2. Nestbeschmutzung
W enn wir zu unserem Ausgangspunkt zurückkehren – der Tatsache nämlich, dass uns die Gewöhnung an transozeanische Flüge gegenüber den Wundern und Schönheiten sowie der Kostbarkeit der Meere hat abstumpfen lassen – , dann muss man konstatieren, dass nicht nur die Piloten sich ihre Aufmerksamkeit bewahren müssen. Die Welt im Allgemeinen muss sich heute in extremem Maß der Auswirkungen des Flugverkehrs bewusst werden – aber aus einem ganz anderen Grund. Flugzeuge, die über den Himmel ziehen, sind schmutzige und Treibstoff fressende Monster, und weil es jetzt so viele von ihnen gibt –
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