Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Misere. Auf einer Website waren Listen mit den Namen von gefährdeten Fischarten veröffentlicht worden – und auch mit den Namen von Läden und Lokalen, die sie anboten. Das von J. Sheekey war darunter gewesen, ein vielleicht altehrwürdiges Etablissement, das aber jetzt öffentlich bloßgestellt und angeprangert wurde. Es ist ein nicht ganz billiges Restaurant, die Klientel besteht im Großen und Ganzen aus Leuten, denen daran liegt, den Eindruck zu erwecken, dass sie sich »korrekt« verhalten. Daher blieben die Gäste, nachdem sie die alarmierenden Meldungen gesehen, gelesen oder angeklickt hatten, scharenweise aus.
Das war aber zufälligerweise nicht das Ende der Geschichte. Die Besitzer von Sheekey, ein einflussreiches Konsortium von Eigentümern anderer schicker Londoner Restaurants, legten formell Beschwerde ein und erklärten, dass sie wirklich überaus skrupulös bei der Wahl der Fische seien, die bei ihnen auf der Speisekarte landeten, dass sie nur Arten aus sich regenerierenden Beständen anböten und die auf der Website angeführten Fakten schlicht falsch seien. Danach trat eine ungewöhnliche Pause ein, es war wie eine Art von Sichverschnaufen. Umweltschutzvereinigungen neigen dazu, sich selbst eine Aura von Heiligkeit zu verleihen, und die meisten von ihnen sind sich absolut im Klaren darüber, dass sie bei ihren Schuldzuschreibungen extrem vorsichtig sein müssen. Eine Gruppierung, die sich dem Schutz der Meeresfauna verschrieben hat, zog prompt die Hörner ein und gab nach einigem Zögern zu, dass man in der Tat etwas vorschnell gehandelt habe und einige der gegen Sheekey vorgebrachten Anschuldigungen nicht gerechtfertigt seien. Die Leute wirkten gedemütigt. Sie entschuldigten sich – wenn auch ein wenig widerstrebend – und erhoben Sheekey prompt wieder in den Kreis der Gerechten. Scharen von Ichthyophilen strömten erleichtert in diesen Tempel der Gastronomie zurück – mit dem Ergebnis, dass es jetzt wieder so gut wie unmöglich ist, dort einen Tisch zu ergattern, vor allem spät an einem Samstagabend.
Es war ein lächerlicher kleiner Streit, aber er öffnete die Augen für etwas, das bis dahin im Allgemeinen übersehen worden war: dass viele Fischarten tatsächlich ernsthaft bedroht sind und dies auf das Verlangen nach kulinarischen Delikatessen, nach Gaumenkitzel zurückzuführen ist, das den westlichen Menschen gegenwärtig ergriffen hat. Wir kaufen oder bestellen Fisch und Meerestiere – die uns, weil man sie nur selten in ihrem natürlichen Ambiente zu Gesicht bekommt, viel »fremder« bleiben als die Tiere, die uns Fleisch liefern und die wir vor unseren Augen grasen und herumtollen sehen –, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, wie sie eigentlich gefangen wurden oder wie lange die Bestände der von uns bevorzugten Arten sich noch regenerieren können. Bis vor Kurzem zeigte man sich in vielen Restaurants ziemlich unwillig, den wenigen, die sich dafür interessierten, entsprechende Informationen zu geben.
Nicht dass etwa allgemeiner Konsens darüber bestünde, wie zutreffend solche Informationen sind oder überhaupt sein können. Es gibt eine große Zahl von Vereinigungen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Ozeane und das Leben in ihnen zu schützen und zu erhalten: das Blue Ocean Institute, der World Wildlife Fund, Sea Shepherd, die National Audubon Society, das Monterey Bay Aquarium, die Alaska Oceans Foundation, SeaWeb, das Natural Resources Defense Council, den National Environmental Trust und andere. Alle verfolgen eigene Ziele und besitzen eigene Arbeitsmethoden, manchmal stimmen sie ihre Bemühungen miteinander ab, meistens aber nicht. Man kann sich heute (z. B. vom Monterey Bay Aquarium vertriebene) Karten besorgen, die in jede Brieftasche passen und denen man entnehmen kann, was für Sorten Fisch man gegenwärtig bedenkenlos essen darf; einige der gehobeneren Restaurants geben auch an, aus welchen Fanggründen die Tiere, die bei ihnen auf den Tisch kommen, stammen.
Innerhalb des Umweltschutzestablishments werden verschiedene Ansätze zur Lösung des Problems favorisiert. Das Marine Stewardship Council (MSC), das 1999 in Großbritannien eingerichtet wurde, trat schon früh auf wissenschaftlicher Grundlage für nachhaltige Fischerei ein. Es stellte eine Reihe von Prinzipien auf, nach denen es beurteilte, ob es sich wirklich um eine verantwortungsbewusste Art des Fischfangs handelte und man eine entsprechende Empfehlung an die Konsumenten aussprechen konnte:
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