Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Nuklearforschungsprojekten – wie normalen Hausmüll in ein Meer, von dem man, wie Rachel Carson angemerkt hatte, glaubte, dass »der Mensch es nicht zu ändern und auszuplündern« vermag. Mehr als 29000 Tonnen »hochaktiven radioaktiven Abfalls«, von dem das meiste auf das Konto des britischen Verteidigungsministeriums ging, wurden im Atlantik versenkt, an einem zu diesem Zweck ausgewählten Ort vierhundert Meilen westlich von Land’s End, wo er bis in die angeblich sichere Tiefe von 2700 Metern hinabsacken konnte.
Die von dem Material, das man an dieser als Atlantic Deep bekannten Stelle »entsorgte«, ausgehende Strahlung war enorm. London tat sein Bestes, um die beunruhigten Bürger zu besänftigen – vor allem die in Cornwall, Devon und South Wales lebenden, in Regionen also, an deren Strände einiges von dem Zeug angespült werden könnte. Man erklärte, »Verteilung und Verdünnung« durch das Seewasser würden dafür sorgen, dass keine Gefahr drohe, und dass alles, bevor man es über Bord geworfen hatte, sicher in mit Zement ausgekleidete Stahlfässer gefüllt worden sei. Diese offiziellen Tröstungen vermochten aber nur wenige zu beruhigen. Und es trug auch nicht gerade zur Entspannung bei, dass die Regierung kurze Zeit später bekanntgeben musste, weitere sechzehntausend Tonnen nur geringfügig weniger brisanten Materials in einer anderen Zone, Hurd Deep genannt, nicht allzu weit entfernt von der britischen Küste im Ärmelkanal, versenkt haben zu lassen. Eine gewisse Menge war auch in der Irischen See und in Gewässern vor Schottland in die Tiefe gekippt worden, womit man sicherstellte, dass dieses isotopische Geschenk den Britischen Inseln noch viele hunderttausend Jahre Freude bereiten würde.
Rachel Carson hatte reichlich Grund dazu, eine radioaktive Verseuchung zu fürchten, doch sie befand sich damals in seliger Unkenntnis bezüglich der anderen Substanzen, die die Meere verpesten würden. Sie wusste in jenen Unschuldszeiten noch nicht einmal von den Unkrautvernichtungsmitteln, zu deren Verbot auf dem Land sie mit ihrem Silent Spring so umfassend beitragen würde.
Wenn man einer Person das Verdienst zusprechen kann, die Bewegung zum Schutz der Umwelt initiiert zu haben, dann ist das wahrscheinlich die amerikanische Meeresbiologin Rachel Carson, die vor allem für zwei von ihr verfasste Bücher berühmt geworden ist: The Sea Around Us (Geheimnisse des Meeres) und Silent Spring (Der stumme Frühling).
© Alfred Eisenstaedt/Getty Images
Damals war alles so viel weniger kompliziert. Ohne Zweifel wird sie wie viele, die in den 1950er und 1960er Jahren an den Stränden Erholung suchten, die Teerklumpen verflucht haben, die von Schiffen stammten, welche ihre Tanks vor den Küsten ausspülten. Sie wird über die zerbrochenen Netzschwimmer und die verrotteten Netzstücke verärgert gewesen sein, die zwischen den Haufen von Seetang auf dem Sand lagen. Sie wusste, dass ihr geliebter Atlantik alles andere als sauber war, doch seine Verschmutzung war noch etwas, das man begreifen, ja irgendwie »verzeihen« konnte. Es war eine Art von Dreck, wie man ihm auch auf einem Bauernhof, in einem Weinkeller oder einer Autowerkstatt begegnen konnte.
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, welche unheilvolle Auswahl von allen möglichen chemischen Elementen, die man auf der Periodentabelle findet, im Meer landen würde – von dem Quecksilber, das man bald im Körper von beinahe jedem Thunfisch, Hai und Schwertfisch entdecken würde, von den Hunderttausenden Tonnen von höchst toxischen, karzinogenen polychlorierten Biphenylen, die sich bald ins Meer ergießen würden und Riesenscharen von Seevögeln Hunderte von Meilen von der Küste entfernt töteten, Strände verseuchten, Muscheln und Fische vergifteten; sie ahnte noch nichts von den vielen Plastikobjekten und -partikeln, die Küsten verunreinigen, Fische ersticken und in den Mägen von Vögeln landen würden, von den zyanidhaltigen Abwässern aus goldverarbeitenden Betrieben, von dem Öl, das aus lecken Tankern ausströmte, bei Schiffbrüchen oder Unfällen auf Bohrplattformen ins Meer floss. Sie konnte nicht vorhersehen, was für enorme Mengen von Pharmaka – Hormone und psychotropische Mittel, Cocktails aus Antidepressiva, Schlaftabletten und Muntermachern – langsam und stetig den Glauben an die unbegrenzte Fähigkeit des Ozeans, zu verdünnen und zu verwässern, als irrig entlarven würden. Ein solcher Glaube war, wie Rachel Carson schon hellsichtig
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