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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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beginnen, der dicht am Meeresgrund, nur ein paar Fuß unter der Wasseroberfläche, schwamm.
    Wenn man das alles in der von Zigarettenrauch erfüllten, behaglichen Atmosphäre eines Londoner Kinos auf der Leinwand sah, wirkte es unvorstellbar schwierig und gefährlich. Die dories waren nur zwanzig Fuß lang, und während Bug wie Heck sich nach oben schwangen, wiesen sie mittschiffs kaum Freibord auf, damit es den in ihnen Sitzenden leichter fiel, die Fische, die ihnen an den Haken gegangen waren, ins Boot zu ziehen. Doch aus diesem Grund schlug auch ständig Wasser ins Boot, so dass ein Fischer, wenn er nicht gerade ruderte, ständig damit beschäftigt zu sein schien, sein Gefährt auszuschöpfen. Natürlich war er auch mit Fischen beschäftigt, indem er entweder alleine seine mit Haken bewehrten Leinen hinabließ oder anderen half, eine Langleine einzuholen, die sich zwischen den als Schwimmer verwendeten leeren Fässern an die fünf Meilen weit durchs Meer ziehen und mit bis zu tausend Haken bestückt sein konnte. In jenen ertragreichen Zeiten konnte an jedem von ihnen ein stattlicher Kabeljau hängen, der in die Jolle gezogen und vom Haken gelöst werden musste, bevor man ihn in die Bilge zu dem Haufen seiner zappelnden und sich windenden Artgenossen warf.
    Irgendwann ruderte ein solcher Fischer dann zu seinem Schoner zurück, sein kleines Boot vielleicht mit einer ganzen Tonne Kabeljau beladen, hundert Fischen, jeder an die zwanzig Pfund schwer, mit einem großen offen stehenden Maul und einem von der Unterlippe herabhängenden kleinen Ziegenbärtchen, einem olivgrünen Rücken, hellem Bauch und einem langen weißen, Schnelligkeit suggerierenden Seitenstreifen. Neufundland-Kabeljau, fett und schwer, mit quasi küchenfertigen saftigen Innereien, ist den Fischern zufolge der ansehnlichste Vertreter der Familie der Dorsche. Ein zum »Mutterschiff« zurückkehrendes dory , bis zum Dollbord mit solchen Fischen gefüllt, war jahrzehntelang ein eindringliches Symbol für die enormen Reichtümer, die der Nordatlantik barg, und veranschaulichte, welches die Grundlage für den Wohlstand derer war, die an seinen Ufern lebten und von ihm ernährt wurden.
    In einem kleinen niedrigen Boot zu seinem Schoner zurückzurudern erwies sich jedoch als ein schwieriges Unterfangen. Allein das Schiff zu orten stellte schon eine Herausforderung dar, vor allem wenn man stundenlang weit von ihm entfernt auf dem Meer getrieben und das Wetter währenddessen umgeschlagen war. Der Schein auch der hellsten Laterne, die man auf dem Vorderdeck aufhängte, reichte in leichtem Nebel nur dreißig Meter, bei einer richtigen Waschküche gar nur ein paar Meter weit. Dann hatte man nur eine Chance zurückzufinden: indem man selbst und der Skipper abwechselnd mit dem Nebelhorn Signale gaben.
    Überdies lag ein mit Fisch beladenes dory noch tiefer als gewöhnlich, und das Seewasser, das über die Seiten schwappte, machte das Gefährt noch instabiler, als es ohnehin schon war. Es wundert nicht, dass so viele Seeleute ums Leben kamen – zwischen 1830 und 1900 blieben 3800 Fischer aus Gloucester, einer Stadt mit nur 15000 Einwohnern, auf See. Die dorymen , die überlebten, waren durch Kameradschaft und ein gemeinsames Gefühl des Stolzes so eng zusammengeschweißt wie nur wenige andere Vertreter der Arbeiterklasse. Bei den Grand Banks Kabeljau zu fangen war ein nobles Gewerbe, eine Kunst, und nur die Kühnsten beherrschten.
    In den 1950er Jahren kamen dann aber die factory ships , die schwimmenden Fischfabriken, auf, und das Bild wandelte sich auf einen Schlag.
    Die Fangmethoden hatten bereits gewaltige Fortschritte gemacht. Fangleinen mit der Hand auszubringen war eine Technik, die nur noch von einer kleinen Minderheit von Fischern angewandt wurde. Der Fang mit Langleinen oder den nahezu unsichtbaren Gespinsten der von Schwimmbojen senkrecht im Wasser gehaltenen Kiemennetzen oder auch mit Schleppnetzen, die man dort, wo der Kabeljau lebt, über den Meeresboden zog, hatten allesamt zu einer gewaltigen Steigerung der Ausbeute geführt. Lange Zeit war jedermann glücklich und zufrieden mit den Grand Banks gewesen. Immer mehr Fischer hatte es dorthin gezogen, seit John Cabot auf der Matthew vorbeigesegelt war. Die Welt glaubte bald seinem Bericht, dass es dort Fisch im Überfluss gab, dass für jeden gefangenen Kabeljau zwei neue aus den Eiern schlüpften. Die Banks schienen für alle Ewigkeit Prosperität für den Fischer und Sättigung der Massen, die sich

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