Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
unablässig von Millionen Fabriken an Land erzeugt werden.
Rachel Carson äußerte sich erstmals 1960 besorgt über eine möglicherweise schon bald bevorstehende maritime Katastrophe, als sie das Vorwort für eine Neuausgabe ihres erstmals 1951 erschienenen klassischen Werks The Sea Around Us verfasste. Das war vielleicht nicht das Buch, das ihr den Rang einer Heiligen einbrachte – Silent Spring vollbrachte dies im Jahr 1962 und machte sie zur Mutter der heutigen Umweltbewegung –, doch es öffnete der Welt die Augen dafür, dass es gute Gründe gab, unseren Weltmeeren mit Respekt und Hochachtung zu begegnen.
Die erste Ausgabe war ein lyrisches Werk, anrührend in seiner Unschuld, bewundernd vom Ton her, mit keiner Zeile unterstellend, dass der Mensch Böses gegen das Meer im Schilde führen könnte, und sogar eindringlich für eine Ausbeutung des Reichtums an Mineralien unter seiner Oberfläche plädierend. Vor allem ihren Ausführungen zum ständigen Temperaturanstieg auf der Welt wohnt großer Charme inne – dieser Anstieg ließ sich in den 1950er Jahren bereits an denselben Phänomenen wie heute ablesen: den schrumpfenden Polareiskappen, den zurückweichenden Gletschern, heftigen und unvorhersagbaren Stürmen. Rachel Carson zeigte sich vor allem von den Theorien eines mehr oder weniger in Vergessenheit geratenen schwedischen Ozeanografen namens Otto Pettersson beeindruckt, der erklärte, es gebe Belege dafür, dass alle Zyklen globaler Erwärmung von »großen unterseeischen Wellen« begleitet seien; er glaubte, dass »wandernde Berge aus Wasser« in der Tiefe des Meeres eine Periode »erstaunlicher und ungewöhnlicher Vorfälle« im Leben der Natur, das heißt vor allem im Klima der Erde, verursacht hätten. Es gab weder vonseiten Petterssons noch vonseiten Rachel Carsons die geringste Anspielung darauf, dass der Mensch etwas mit diesen klimatischen Veränderungen zu tun haben könnte; die Ursache sah man entweder in den Gezeiten oder der Auswirkung von Sonnenflecken.
Doch das war 1950. Ein Jahrzehnt später bot Carson zwar keine neuen Erklärungen für den ständigen Anstieg der globalen Temperaturen, doch sie begann sich Sorgen über die Verschmutzung der Meere zu machen und vor allem – es war der Beginn des Atomzeitalters – über ihre Kontamination durch radioaktive Materialien.
In ihrem zu Recht berühmt gewordenen Vorwort schrieb sie:
»Obwohl der Mensch sich als Verwalter der natürlichen Reserven der Erde keinen guten Ruf erworben hat, hat man sich lange bis zu einem gewissen Grad mit dem Glauben getröstet, dass zumindest das Meer vor Übergriffen gefeit sei, dass der Mensch es nicht zu ändern und auszuplündern vermöge. Doch unglücklicherweise hat dieser Glaube sich als naiv erwiesen. Seit er die Geheimnisse des Atoms entschlüsselt hat, sieht der moderne Mensch sich mit einem schrecklichen Problem konfrontiert – nämlich, was er mit den gefährlichsten Materialien tun soll, die es in der gesamten Geschichte der Erde überhaupt gegeben hat: mit den atomaren Abfällen […]
… durch seine Größe und seine scheinbare Entlegenheit hat das Meer die Aufmerksamkeit jener auf sich gezogen, die vor dem Problem stehen, diesen Müll entsorgen zu müssen, und ohne dass man lange darüber diskutiert hätte und nahezu ohne dass die Öffentlichkeit Kenntnis davon genommen hat, ist das Meer als »natürliche« Senkgrube für die kontaminierten Abfallprodukte ausgewählt worden […]
Den Atommüll zu entsorgen und erst später Untersuchungen anzustellen ist gleichbedeutend damit, eine Katastrophe heraufzubeschwören, denn wenn man erst einmal radioaktive Elemente im Meer abgeladen hat, ist das irreversibel. Die Fehler, die man heute macht, werden sich für alle Zeiten auswirken. Es ist eine merkwürdige Situation, dass das Meer, aus dem einst das Leben entstand, nun von den Aktivitäten einer Form dieses Lebens bedroht ist. Doch das Meer wird, wenn auch auf unheilvolle Weise verändert, weiter existieren: Es ist das Leben selbst, welches bedroht ist.«
Ihre Vorhersagen waren absolut zutreffend. Großbritannien würde sich als nur einer von vielen das Meer verseuchenden »Schurkenstaaten« erweisen – der International Atomic Energy Agency zufolge taten zwölf Atommächte mehr oder weniger dasselbe wie die Briten. 56 Bis in die späten 1970er Jahre hinein verklappten von der britischen Regierung gecharterte Schiffe radioaktiven Abfall – von atomaren Waffenprogrammen, Atomkraftwerken,
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