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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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den nicht von Kanada beanspruchten, zum offenen Ozean hin gelegenen äußeren Randgebieten der Banks. Die portugiesische Weiße Flotte – die Fischerboote dieses Landes sind immer noch weiß gestrichen, seit man sie im Zweiten Weltkrieg so gekennzeichnet hatte, um deutsche U-Boote von ihrer Neutralität in Kenntnis zu setzen – folgte ihrem Beispiel. Ansonsten leerte sich die Oberfläche des Ozeans, und mit dem Kabeljaufang mithilfe von dicht über den Meeresboden gezogenen Schleppnetzen war es vorbei.
    Die quasi über Nacht einsetzende Ruhe hätte eigentlich der Kabeljaupopulation bei den Banks die nötige Zeit geben sollen, sich zu erholen; denn urplötzlich betrieb dort niemand mehr Fischfang in großem Stil. Die Kanadier, die jetzt als Einzige berechtigt gewesen wären, dies zu tun, verfügten damals nicht über die dazu notwendigen Mittel und Einrichtungen. Sie besaßen weder die Schiffe, die zu einem Aufschürfen der Fische vom Meeresboden, zu einem Leersaugen des Ozeans nötig gewesen wären, noch waren sie willens, solch einen Raubbau zu betreiben.
    Doch verfolgten die Regierung in Ottawa wie auch die Provinzregierung, deren Sitz sich in St. John’s befand, andere Ziele. Sie beschlossen, ein wenig Leben in die stets von Stagnation bedrohte Wirtschaft der ärmsten und jüngsten Provinz des Landes zu bringen. Im Einklang mit dieser, ihnen die Stimmen vieler Wähler sichernden Politik beschloss die Regierung, eine Fischereiindustrie ins Leben zu rufen, die der Leitung von Kanadiern unterstehen, im Besitz von Kanadiern sein und von diesen organisiert werden sollte.
    Dann setzten die Regierungsstellen in Ottawa – und in erster Linie ein heute viel bespötteltes Bundesregulierungsgremium, das Canadian Department of Fisheries and Oceans – auf Schätzungen basierende Fangquoten für eine neue kanadische Fischereiflotte fest. Doch diese Schätzungen erwiesen sich in einem fast unglaublichen Ausmaß als falsch.
    Die Quoten waren viel zu hoch angesetzt. Vierhunderttausend Tonnen Kabeljau könnten jedes Jahr bei den Banks gefangen werden, verkündete die Regierung frohlockend, und die neu begründete kanadische Fischereiindustrie, der durch generöse staatliche Subventionen zusätzliche Anreize erwuchsen, schluckte den Köder. Auf den in Osten gelegenen Werften des Landes, wo Unterbeschäftigung geherrscht hatte, wurde hektisch geschweißt und genietet, und Stapelläufe waren plötzlich an der Tagesordnung. Es dauerte nicht lange, bis an die Stelle der sowjetischen Trawler, die die Fischgründe bei den Banks leer geräumt hatten, ähnlich große, ähnlich ausgerüstete und mit ähnlich aggressiven Methoden auf Jagd gehende Fischdampfer getreten waren, an deren Flaggenstöcken die rote Fahne mit dem weißen Ahornblatt flatterte. Von optimistischen Bekanntmachungen der Regierung angefeuert, dass es dort draußen von Fischen wimmelte und kanadische Schiffe von jeder Spezies mehr oder weniger so viel fangen könnten, wie sie wollten, nahmen diese voller Eifer weit vor den Küsten des Landes ihre Arbeit auf.
    Es wurde jedoch schnell klar, dass der Fischreichtum in den Regionen viel zu hoch eingeschätzt worden war – ob aufgrund von Inkompetenz oder weil man sich kurzfristige politische Vorteile hatte erkaufen wollen, ist nie richtig ermittelt worden. Man musste die Zahlen nach unten korrigieren. Für einige Meeresbiologen und nicht wenige lokale Fischer, die ihrem Beruf in größerer Nähe zur Küste nachgingen, bestand daran kein Zweifel, und sie warnten vor einer drohenden Katastrophe. Sie versuchten sogar einmal, die Sache vor Gericht zu bringen, um dort durchzusetzen, dass man größere Vorsicht walten ließ. Doch niemand schenkte ihnen ernsthaft Gehör, und Ende der siebziger und die ganzen achtziger Jahre hindurch gab man sich in Kanada unbekümmert einem Fischereirausch hin, wie man ihn noch nie zuvor erlebt hatte.
    Neufundland wurde zu einer vergleichsweise reichen und prosperierenden Provinz, und man war dort zum ersten Mal voll und ganz zufrieden über den Anschluss an das weise und vorausblickende Kanada. Der silberne Kabeljau ergoss sich in Strömen in die Laderäume der Fischdampfer, und die Bevölkerung war glücklich. Über Nacht hatte man im Rest des Landes ein ganz anderes Bild vom viel geschmähten Newfie ; dieser wurde jetzt als ein ganz anderes Geschöpf angesehen, als ein prachtvoller Bursche mit hoher Arbeitsmoral und voller Unternehmergeist. Und Neufundland selbst verwandelte sich von einem

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