Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
von Fisch ernährten, zu versprechen. Es gab einige – darunter viele der älteren Fischer aus den kleinen Hafenstädten Neufundlands –, die meinten, sie würden ihren Fisch und seine Gewohnheiten kennen und wissen, wie viel man ungestraft fangen dürfe, und sich sorgten, dass man eines Tages die Riesenschwärme vernichtet haben könnte. Man belächelte diese Unheilspropheten nachsichtig und erklärte ihnen, die Grand Banks seien eine unerschöpfliche Quelle des Glücks und der Freude für alle.
Doch dann installierte man Dampfmaschinen auf Schiffen und entwickelte Techniken zum Einfrieren von Fisch. Fischstäbchen wurden erfunden und Fertiggerichte, und dann kam man auf die Idee, dass Fisch gar nicht erst an Land gebracht werden musste, um weiterverarbeitet – filetiert, eingefroren, in Schachteln verpackt und etikettiert – zu werden, sondern dass man das alles schon auf See erledigen könnte, auf einem großen Schiff, das kein richtiger Fischdampfer mehr war, sondern eine schwimmende Fabrik. In dieser wurden mithilfe von Maschinen vierundzwanzig Stunden am Tag Fische zerlegt und anschließend ebenfalls vierundzwanzig Stunden am Tag wieder zu Fertiggerichten der verschiedensten Art komponiert. Plötzlich war der Fang – ob mit Langleinen, Kiemen- oder Schleppnetzen – die geringste Herausforderung im Zusammenhang mit der Hochseefischerei. Mit der Einführung der Fabrikschiffe schnellte in den 1960er Jahren die Menge von Kabeljau, die bei den Grand Banks aus dem Meer gezogen wurde, jäh in astronomische Höhen, und die Fischerei, die dort betrieben wurde, war – um ein Wort zu gebrauchen, das in jener Zeit erst in die Fach- und dann auch in die Umgangssprache einging, ohne aber bereits en vogue zu sein – alles andere als nachhaltig.
Ein 1954 in Schottland vom Stapel gelaufenes Schiff, die Fairtry , begann damit, die Grand Banks quasi wie im Tagebauverfahren auszubeuten, sie regelrecht leer zu schürfen. Mit den Schonern und Küstenfahrern verglichen, die sich dort vorher versammelt hatten, war sie gigantisch, 2600 Tonnen groß und wie eine umgebaute Passagierfähre aussehend. Sie erfüllte die Aufgabe, für die sie bestimmt war, mit erschreckender Effizienz – das riesige Schleppnetz, das sie über eine Heckrampe hinabließ, hatte eine Öffnung mit einem Durchmesser von vielen Dutzend Metern, und wenn es über den Meeresgrund gezogen wurde, fegte es mit seiner beschwerten Unterkante jedes Lebewesen in seinen Schlund, das ihm in den Weg kam – Hunderte und Aberhunderte Kabeljau von unterschiedlichem Lebensalter, Geschlecht, Gewicht und physischem Zustand, aber auch alle möglichen anderen am Meeresboden lebenden und sich dort ernährenden Fische und Krustentiere, ob man diese nun verwenden konnte oder nicht. Das alles wurde umgehend in den Bauch des Riesenkastens von Schiff befördert; was man nicht verwerten konnte, wurde über Bord geworfen, der Rest von Maschinen zerpflückt – filetiert, eingefroren und verpackt –, während das Schleppnetz schon wieder über den Grund schleifte und kurze Zeit später erneut Hunderte von Tonnen Kabeljau an die Oberfläche holte.
Die reichen Kabeljaubestände im Atlantik gehören der Vergangenheit an. Dieser vor Glück strahlende Fischersmann wurde 1949 auf einem Trawler bei den Lofoten in Nordnorwegen aufgenommen. Heute sind zum einen die Fänge von Gadus morhua nicht so üppig, zum anderen die einzelnen Fische nur selten so groß wie die beiden Exemplare, die der Mann in den Händen hält.
© Haywood Magee/Getty Images
Dieses Schiff allein brachte erstaunlich große Fangmengen ein. Doch dann bekamen die sowjetischen Fischereibehörden Wind von der sich abzeichnenden Revolution, und da sie maßgeblich daran beteiligt waren, ein neues Vorhaben des Kreml in die Tat umzusetzen, nämlich die Massen mit genügend Protein zu versorgen, gaben sie eine Flotte ähnlicher, aber noch größerer Schiffe in Auftrag, die sie ebenfalls zu den Banks schickten. Eines von ihnen, die Professor Baranow , war mehr als hundertfünfzig Meter lang und konnte zweihundert Tonnen Fisch am Tag verarbeiten: zu Gefrierfisch, Fischmehl oder Öl. Es stellte in eigenen Destillationsanlagen Wasser und Eis her und war einer Flottille von bis zu zwanzig russischen Trawlern zu Diensten, die über die Banks hinwegrumpelten wie Ochsengespanne vor einem Pflug, nur dass sie Netze hinter sich herzogen und mehr Fische »ernteten«, als John Cabot und die Basken, die nach ihm gekommen waren, es jemals
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