Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
für möglich gehalten hätten.
Für viele erwies sich die Versuchung als unwiderstehlich. Nach ein oder zwei Saisons wollte jeder, der über ein genügend großes Netz verfügte, mit von der Partie sein. Von den Kais Ostdeutschlands und Koreas, Kubas und Japans fanden Dutzende schwerfälliger und rostiger schwimmender Fischfabriken den Weg über The Nose und The Tail zum Flemish Cap und zu den eigentlichen Banks, wo sie ihre Netze so lange auswarfen, bis ihnen der Diesel ausging und sie St. John’s anliefen, um dort ihre Tanks neu zu füllen und der Besatzung die Gelegenheit zu geben, in den Kneipen einen draufzumachen. Die Einwohner der kleinen Küstenstadt Bonavista erzählten, dass sie, wenn sie zu der hoch auf einem nahe gelegenen Kap stehenden Statue von John Cabot hinaufmarschierten und dann nach Osten schauten, etwas sehen könnten, das einem großen Dorf ähnelte: Tausende von Lichtern von den Fabrikschiffen und ihren Trawlern, die die Tage und Nächte hindurch ohne Unterlass das Meer leer räumten – von Fisch.
Fabrikschiffe, die unter den Flaggen von einem Dutzend neuer Länder fuhren, verdrängten die, die seit Jahrzehnten in diesen Gründen gefischt hatten, und im Schutz der Nebelbänke und der tobenden Stürme brachten sie immer raffiniertere Technologien zum Einsatz und setzten immer größere Schleppnetze ein. Die Fangmengen stiegen immer weiter – bis allein im Jahr 1968 810000 Tonnen Kabeljau von dem sandigen Seeboden abgefischt wurden, eine Zahl, die manch einem die Tränen in die Augen trieb – und tatsächlich war dies das Jahr, in dem bei den Banks alles gewaltig schiefzugehen begann.
Die kanadische Regierung kam zu dem Schluss, dass etwas geschehen müsse. Es wurde dort einfach zu viel gefischt und für zu lange Zeiträume – eine Situation, die so nicht weiter bestehen bleiben durfte. Mathematiker errechneten im Regierungsauftrag, dass zwischen der Mitte des 17. und der des 18. Jahrhunderts – eine Zeitspanne, in der dreißig Kabeljaugenerationen geboren und auf irgendeine Weise wieder dahingegangen waren – an die acht Millionen Tonnen dieser Fischart erbeutet worden waren, in der Hauptsache von britischen, spanischen und portugiesischen Booten, deren Besatzungen noch die traditionelle Fangmethode mit der mit Haken bestückten Leine angewandt hatten. Doch beinahe genau die gleiche Menge sei während der ersten fünfzehn Jahre seit Aufkommen der Fabrikschiffe gefangen worden – und acht Millionen Tonnen in fünfzehn Jahren, das sei mehr, als jeder Fanggrund auf dem Planeten unbeschadet überstehen könne.
Man musste also einen Plan ausarbeiten, um Abhilfe zu schaffen – und dies geschah mit einer für Regierungsverhältnisse durchaus respektablen Geschwindigkeit. Doch wenn auch die Bürokraten und Politiker im fernen Ottawa von den besten Absichten geleitet gewesen sein mögen, trug die Art und Weise, wie die kanadische Fischereipolitik in den darauf folgenden zwanzig Jahren konkret umgesetzt wurde, dazu bei, dass es zu einer noch größeren Katastrophe kam, eine, von der sich weder Fische noch Fischer oder Fischergemeinden vollständig erholt haben.
Zunächst einmal tat die Regierung etwas scheinbar sehr Vernünftiges. 1977 erklärte sie (im Verein mit den meisten anderen Ländern auf der Welt, die an ein Meer grenzen), dass in Zukunft ein zweihundert Meilen breiter Streifen vor den eigenen Küsten als Exclusive Economic Zone angesehen werden würde, in der ausländische Schiffe keinen Fischfang betreiben dürften. Dass Kanada die juristische Oberhoheit über diese Zone beanspruchte, bedeutete, dass jene riesige Schar von Trawlern und Fabrikschiffen aus Murmansk, Fleetwood, Vigo, Lissabon und einer großen Zahl anderer ausländischer Häfen, die sich der kanadischen Küste bis zur Grenze der drei Meilen breiten Hoheitszone genähert hatten, abdampfen musste. Jenseits der neuen Grenzlinie durften sie immer noch Fische fangen, das hieß, dass sie weiterhin im Gebiet von The Nose und The Tail operieren konnten, nicht aber bei den eigentlichen Banks.
Und so fuhren die meisten von ihnen in den Sonnenuntergang hinein. Die spanische Trawlerflotte, die von den europäischen Fangquoten in ihren Aktivitäten eingeengt wurde, glaubte, dass die zehn Meilen vor der neufundländischen Küste gelegenen, Frankreich unterstehenden winzigen Zwillingsinseln St. Pierre und Miquelon – Relikte französischer kolonialer Ambitionen – ihnen Zuflucht gewähren würden, und fischten daher weiter in
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