Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Newman’s Cove, Trinity und dem hoch im Norden der Region gelegenen Bonavista selbst anhielt, wo die Statue John Cabots aufs Meer hinausschaut, kommen überall in den Buchten und Flussmündungen noch kleine Kabeljauschwärme vor. Doch den Fischern ist es strengstens verboten, sie zu fangen – jeder, der mit einem Kabeljau erwischt wird, bekommt eine hohe Strafe aufgebrummt. Einige vertreten die Ansicht, es wäre sinnvoll, jedem Fischer den Fang von einer Tonne Kabeljau pro Jahr zuzugestehen – doch die Regierung weigert sich, vielleicht weil sie glaubt, die vielen in der Vergangenheit begangenen Fehler durch solche Rigorosität gutmachen zu können.
Einige der Fischfabriken haben dichtgemacht oder lassen in Kurzarbeit andere Fische, die man noch findet und deren Fang legal ist, aufbereiten. An die dreißigtausend Neufundländer haben aber ihre Anstellung verloren. Auf Bonavista herrscht eine Atmosphäre von Niedergeschlagenheit, von entsetzlicher Tristesse. Überall Geschäfte mit heruntergelassenen Rollläden, mit Vorhängeschlössern versperrte Tore und Maschendrahtzäune um Fabriken, in denen einst viele Menschen geschäftig ihrer Arbeit nachgingen.
Die Schuld am Zusammenbruch der Fischereiwirtschaft wird allen möglichen Faktoren zugeschrieben. Einige Regierungsvertreter führen ihn auf die globale Erwärmung zurück, gegen die, wie sie geltend machen, niemand etwas tun kann; andere behaupten, dass die stets hungrigen Sattelrobben zu viel laichreifen Kabeljau fräßen, und da die Politiker gegen diese Tiere etwas unternehmen könnten, drängen viele auf die Ausrottung der Sattelrobben oder zumindest auf ihre zahlenmäßige Reduktion. Die Küstenfischer sehen die Schuld bei den Trawlern und den Statistikern. Die Hochseefischer sind wütend auf die Regierung, weil diese ihnen die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, genommen und ihnen im Gegenzug nur wenig geboten hat – wenn auch das Arbeitslosengeld in Neufundland generös ist. Kritiker meinen, dass die Fischereiwirtschaft in diesem Winkel des Atlantiks zu großzügig unterstützt wird und man sie lieber ohne Hilfe weiterbestehen oder eben untergehen lassen solle.
Doch alle diese Argumente sind letztlich trivial; es ist gleichgültig, wer recht hat. Was zählt, ist diese eine Tatsache: dass vor noch nicht allzu langer Zeit der nordwestliche Atlantik eine geradezu wundersame Fülle an Fisch barg – und die Gier des Menschen sowie seine fatale Neigung, nicht weit genug in die Zukunft zu blicken, dazu geführt haben, dass Schluss mit dieser Fülle war, und zwar höchstwahrscheinlich für immer. Alle Küstengemeinden der Region sind ebenfalls Opfer dieser Entwicklung. Ist das nun die wahre Tragödie, oder gibt das Aussterben der Kabeljaupopulation bei den Grand Banks größeren Anlass zur Betrübtheit? Die Antwort hängt von unserem persönlichen Verhältnis zu den uns umgebenden Meeren ab.
John Culliney, ein auf Hawaii tätiger Meeresbiologe, meinte einmal, die Ozeane, »die letzte noch erhaltene große Wildnis auf unserem Planeten«, stellten vielleicht eine Grenze dar, an welcher sich dem Menschen »die letzte Chance böte, sich als rationales Wesen zu erweisen«. Doch hier vor Neufundland gibt die offenkundig verantwortungslose Art und Weise, in der die Menschheit mit dem Atlantik umgegangen ist, wenig Anlass zu Optimismus.
5. Im Süden
I m weit entfernten Südatlantik scheinen die Dinge um einiges besser zu stehen. Die Fischereiwirtschaft, die 1993 in einem weitläufigen von Großbritannien verwalteten Seegebiet um die Inselgruppen von South Georgia und South Sandwich begründet wurde – mit 850000 Quadratmeilen ist es das größte Teilstück, das vom ehemaligen riesigen Britischen Empire übrig blieb –, gehört gegenwärtig zu den am sorgfältigsten kontrollierten und effizientesten der ganzen Welt. Der größte Teil des chilenischen Zackenbarsches, den man im Norden auf den Speisekarten der Restaurants findet, wird in dieser Region gefangen, und zwar überwiegend mit der Billigung der internationalen Fischschutzorganisationen.
Wie die meisten von uns hatte ich lange nichts von der Existenz dieses Großbritannien unterstehenden Seegebiets gewusst. Das war so, bis ich an einem Februartag in den frühen 1990er Jahren eine ganz unerwartete Begegnung hatte und mir dies über eine höchst merkwürdige Kette von Begebenheiten enthüllt wurde. Doch ein paar Hintergrundinformationen sind wohl notwendig.
Während meiner Studienzeit in den
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