Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
zu erschließen vermocht.
In dieser Sequenz kommen die Dutzend oder mehr Kontinente vor, die im Lauf der Erdgeschichte entstanden sind und entweder für kurze Zeit oder Äonen lang existiert haben. Sie beginnt mit der Formation der ersten Festlandmasse von kontinentalen Dimensionen: einer gewaltigen zweitausend Meilen langen Fläche, deren Silhouette einem monströsen Albatros ähnelte. Es ist ungefähr drei Milliarden Jahre her, dass sie sich bildete und über die Oberfläche des kochend heißen Meeres erhob. Die Geologen unserer Zeit haben diesem Kontinent einen angemessen klangvollen und leicht zu merkenden Namen gegeben: Er ist – in Erinnerung an den Geburtsort Abrahams in Chaldäa – als Superkontinent Ur bekannt.
Seit der Entdeckung beziehungsweise Rekonstruktion von Ur hat man die Überreste weiterer sehr früher Kontinente gefunden und ihnen Namen gegeben, die entweder den Nationalstolz jener reflektieren, die in der Nähe dieser Fundorte leben, oder die klassische Bildung der Forscher, die sie aufgespürt haben, unter Beweis stellen, manchmal aber auch die Realitäten der modernen Weltpolitik spiegeln. Diese Namen sind zumeist nur den zur großen Bruderschaft der Geologen Gehörenden vertraut: Vaalbara, Kenorland, Arctica, Nena, Baltica, Rodinia, Pannotia, Laurentia. Sie bezeichnen zusammenhängende Landmassen, die so klein wie das heutige Grönland oder so riesig wie das heutige Asien gewesen sein können. Sie waren ständig in Bewegung, änderten unablässig ihre Konturen, Topografie und Lage.
Über unermesslich lange Zeiträume hinweg, im Lauf von Perioden, in denen versengende Hitze und kolossale physische Kräfte immer wieder zur Umgestaltung der Erde führten, glitten sie alle langsam und majestätisch auf der Oberflächenhaut des Planeten hin und her. Manchmal kollidierten sie miteinander, wodurch Gebirgsketten entstanden, die heutzutage aufgrund ihres hohen Alters weitgehend abgetragen, also sehr flach geworden sind. Häufig brachen sie auch in einer Abfolge von sich wie in Zeitlupe aneinanderreihenden Explosionen auseinander – Vorgänge, die Millionen von Jahren brauchten, bis sie ganz abgeschlossen waren. Ihre Trümmer rutschten und schlitterten dann auf der Welt herum, ordneten sich neu, fügten sich auch gelegentlich mit anderen Landmassen zusammen. Es war, als wäre die Oberfläche des Planeten mit den Teilen eines gigantischen Puzzles bedeckt, die ein unsichtbarer und nicht allzu intelligenter Riese hin und her schob. Und die ganze Zeit über füllten sich die Räume zwischen den kontinentalen Massen mit Meeren, deren Umrisse sich ebenfalls ständig änderten, die geteilt und deren Teile dann erneut geteilt und so zu Gewässern geformt wurden, die, von der Zeit vor ungefähr einer Million Jahren an, alle Charakteristika von dem aufwiesen, was wir heute einen Ozean nennen.
Im Kambrium, vor ungefähr 540 Millionen Jahren, begann einer dieser Ozeane ein uns vertrautes Ansehen anzunehmen. Als er erstmals in Erscheinung trat, war seine Gestalt nicht besonders ausgeprägt – er war ganz einfach nur sehr groß. Während des Ordoviziums jedoch fing er an, sich zu verengen, bis er nicht mehr als tausend Meilen breit war; da er sich auch leicht krümmte, ähnelte er einem gewaltigen Strom, der von Nordosten nach Südwesten über die Welt floss, das heißt: Er unterschied sich von seinem Erscheinungsbild her nicht ganz und gar vom künftigen Nordatlantik.
Und weil seine Wellen an die Ufer von Landmassen schlugen, die im Lauf der Zeit zum Osten Nordamerikas und zum Nordwesten Europas werden würden, gab man diesem hypothetischen ordovizischen Meer den Namen, der ihm gewissermaßen von Rechts wegen zustand: Es wurde »Iapetus« genannt, nach dem Titanen, der in der griechischen Mythologie als der Vater von Atlas gilt. Der Iapetus-Ozean ist seit Langem ausgetrocknet, doch der Sandstein und der graue, aus seinen Tiefen stammende Kalkstein, den man auf Neufundland findet, bezeugt seine ehemalige Existenz. Er war der Vorläufer, der Vater oder die Mutter, des späteren Atlantiks.
Die moderne Welt, die Welt in einer für uns wiedererkennbaren Gestalt, begann sich 250 Millionen Jahre später auszuformen – das heißt auch vor 250 Millionen Jahren –, in der Endphase des Perm- und zu Beginn des Triaszeitalters. Es war ein Prozess, der seinen Anfang nahm, als vier der ursprünglichen protokontinentalen Puzzleteilchen aufeinanderprallten und sich zu einem Superkontinent zusammenfügten, der
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