Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Grasteppich war dort wie mit einer Klinge abgeschnitten, und statt seiner gähnte dort nur eine mit nichts als Wind gefüllte Leere: steil abfallende Wände aus schwarzem nassem Basalt und über siebenhundert Meter tiefer an sie heranschlagend die tosenden Brecher und schäumenden Wogen des offenen Meeres. Hunderte von Papageientauchern hockten in Nischen und Spalten in den Felswänden, einige von ihnen nicht mehr als eine Armeslänge entfernt und ganz unbekümmert ob meiner Anwesenheit. Sie sahen ein wenig lächerlich aus, pummelig und pausbäckig, mit ihren Gesichtsmasken und ihrem bunten Schnabel, aus dem oft zu beiden Seiten kleine Fische ragten. Doch immer wieder erhob einer von ihnen sich in die Luft und stieg voller Anmut, leicht und schwerelos in den Himmel auf – überhaupt nicht mehr lächerlich wirkend.

    Mykines, die westlichste der Färöerinseln, steigt abrupt aus dem Atlantischen Ozean auf; sie wird von Wind und Wellen gepeitscht und ist die meiste Zeit des Jahres über in dichten Nebel gehüllt. Die Insel ist für ihre Naturschönheiten und die vielen Brutkolonien von Seevögeln – wie diesen Papageientauchern – bekannt. Auf den Färöern sind weniger als fünfzigtausend Menschen zu Hause. Sie besitzen die dänische Staatsbürgerschaft und leben vorwiegend von der Schafzucht – »Faroe« bedeutet in der Sprache der Wikinger »Schaf«.
    Ich muss lange an dieser Felskante gesessen und aufs Meer geschaut oder eher wie hypnotisiert darauf gestarrt haben. Das Brausen des Sturms hatte endlich aufgehört, und die Sonne war herausgekommen und zog langsam ihre Bahn über den nachmittäglichen Himmel. Ich saß so, dass meine Beine über dem Abgrund baumelten, und hatte das Gesicht genau nach Westen gewandt; direkt unter mir jagten Seevögel in dichten Wolken dahin, Tölpel und Sturmvögel, Eissturmvögel und Dreizehenmöwen; neben mir schwatzte die Kolonie der Papageientaucher. Vor mir lag einfach nur … nichts, nichts als eine sich unablässig kräuselnde See, im warmen Licht der Sonne wie gehämmertes Kupfer glänzend und sich bis zum fernen Horizont erstreckend, fünfzig Meilen weit oder auch hundert. Von dieser Höhe aus hatte ich das Gefühl, fünfhundert und sogar noch mehr Meilen weit sehen zu können. Auf diesem Breitengrad, bei zweiundsechzig Grad Nord, fing eine unendliche Leere an, die, wie ich wusste, erst von den Basaltklippen Grönlands unterbrochen wurde, mehr als tausend Meilen entfernt von hier. Das Meer war nirgendwo von Schiffsschrauben aufgewühlt, von keinem Kielwasser durchzogen; am Himmel zeichneten sich keine Kondensstreifen von Flugzeugen ab – man nahm nichts wahr als den kühlen steten Wind, die Rufe der Vögel und hatte das Gefühl, dass da irgendwo vor einem, noch weit außerhalb des eigenen Blickfelds, das Ende der bekannten Welt lag.
    Und so ähnlich fühlt man sich auf jeder Landspitze am Atlantik, an jedem Kap, ob in Afrika oder in Amerika oder auf einer der Dutzenden von anderen Inseln im Ozean. Es sind alles Orte, von denen aus man in eine grenzenlose Weite schaut und der Horizont in so großer Ferne liegt, dass er eine leicht gekrümmte Linie bildet. Der Anblick reicht aus, um den Betrachter innehalten zu lassen: Er ist hypnotisierend, geht einem unter die Haut.
    Wie unvergänglich, ja ewig einem der Ozean dann vorkommt – und wie unermesslich weit. Die großen Meere sind so groß, dass man, nach ein wenig Nachsinnen, einsieht, wieso es vollkommen gerechtfertigt war, dass jemand wie Arthur C. Clarke, Verfasser des Romans Odyssee im Weltraum , ein Mann also, der ein bisschen was von ausgedehnten Räumen verstand, meinte, es sei »unangebracht, diesen Planeten Erde zu nennen, wo er doch ganz eindeutig Meer ist«.
    Die dominierende Farbe des Atlantischen Ozeans ist, mehr noch als bei den anderen Meeren, Grau. Er ist grau, und seine Bewegungen sind langsam und kommen meist einem schweren, gravitätischen Wogen gleich. An den meisten Orten ähnelt der Atlantik überhaupt nicht dem Pazifik oder dem Indischen Ozean – er wird nicht von der Farbe Blau beherrscht und ist auch nicht von Palmen und Korallenriffen gesäumt. Er ist ein graues, wogendes Gewässer, nicht selten von starken Winden aufgewühlt. Wenn man an ihn denkt, sieht man vor seinem inneren Auge Fischtrawler durch ihn stampfen oder Tanker, die mühsam durch die Wellen schlingern. Oft drohen Stürme auszubrechen, und immer bewegen sich seine Wasser, als würden sie einen bestimmten Zweck verfolgen, künden sie

Weitere Kostenlose Bücher