Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
sie ausspien, so gewaltig, dass die Klippen und Gebirgszüge, die an sie erinnern, immer noch Ehrfurcht gebietend eindrucksvoll sind.
1975 machte ich mit meiner Familie Ferien auf der kanadischen Insel Grand Manan, die zu Neubraunschweig gehört und nicht weit von Campobello entfernt ist, wo Roosevelt sich im Sommer zu erholen pflegte. Wir vergnügten uns ganze Nachmittage lang damit, die Gezeitentümpel bei Southwest Head zu erkunden, einem hohen Kap, von dem aus man nichts als den Atlantik sieht, der sich, nebelverhangen und kalt, weit nach Süden erstreckt. Anschließend wanderten wir heimwärts, um in der Bay of Fundy die spektakulären Flutwellen bei Seal Cove anzuschauen. Auf dem Weg dorthin kamen wir an einer merkwürdigen Ansammlung von reinweißen Felsbrocken vorbei, die wie Fremdkörper auf einer aus Säulen von dunkelbraunem Gestein gebildeten Klippe lagen. Diese Felsbrocken, die ein Gletscher zurückgelassen hatte, wurden »Flock of Sheep« – »Schafherde« – genannt. Es war aber das säulenförmige braune Basaltgestein unter ihnen, das die Geologen seit dem Ende der achtziger Jahre am meisten fasziniert hat. Damals stellte man fest, dass diese Klippe, was Aussehen und wahrscheinliches Alter betraf, einer anderen riesigen Basaltformation ähnelte, die Teil eines marokkanischen Gebirgszugs war.
Ich besuchte diesen Gebirgszug, den nordafrikanischen Atlas nämlich, als ich Recherchen zu einem anderen in diesem Buch behandelten Thema anstellte. Ich wusste damals nicht von seiner Verbindung mit den Felsformationen auf Grand Manan und erfuhr auch nichts darüber, bis ich der Sache nachzugehen begann. Denn wenn Marokko auch für seine Fossilien aus dem Paläozoikum sowie aus dem Jura und der Kreidezeit bekannt ist, gibt es im Atlasgebirge auch einzelne große Felsen aus Basalt, Einsprengsel vulkanischen Ursprungs zwischen Sedimentgestein, die, wie Forscher 1988 ermittelten, von genau demselben Alter waren wie die Felsen auf Grand Manan und an anderen Orten im östlichen Kanada. Diese Entdeckung, von der ich erfuhr, während ich in einer Bar auf dem Dach eines Hauses in der Küstenstadt Essaouira saß und mir die Sonne ins Gesicht scheinen ließ, veranlasste Geologen zu einer großen Ostereiersuche: Sie durchforschten andere Küstenstriche des Atlantiks nach Basaltgestein vom selben Alter. Bei mehreren Expeditionen in den neunziger Jahren wurden eine gewaltige Fülle solcher Gesteinskörper, sogenannter Sills oder Dykes , sowie Flutbasaltstränge im umgebenden Sedimentgestein entdeckt; daraus ließ sich mit ziemlicher Sicherheit schließen, was vor ein wenig mehr als zweihundert Millionen Jahren vor sich gegangen war.
Diese Basaltkörper oder -gänge gab es überall – sie addierten sich zu einer Gesamtfläche von über zehn Millionen Quadratkilometern, die Teile von dem bedeckte, was im Lauf der Zeit zu vier Kontinenten geworden war; in Nordamerika erstreckten sie sich an den Appalachians entlang von Alabama bis Maine und von dort aus noch ein ganzes Stück bis nach Kanada hinein und an den Küsten der Bay of Fundy entlang. In Südamerika fand man sie in Guyana, Surinam, Französisch-Guyana und, besonders eindrucksvoll, im brasilianischen Amazonasbecken. In Südeuropa stieß man in Frankreich auf sie, und in Afrika fand man Mengen von Sills und Dykes nicht nur in Marokko, sondern auch in Algerien, Mauretanien, Guinea und Liberia. Und alle diese Puzzleteilchen waren von einer Ausrichtung und einem Alter sowie in einem solchen Umfeld eingebettet, dass an ihrer geologischen Verwandtschaft kein Zweifel bestand und ihr gemeinsamer Ursprung wahrscheinlich war.
Ihr durchschnittliches Alter, das heißt der Hauptzeitpunkt ihrer Entstehung, ließ sich schließlich auch recht genau bestimmen: Der größte Teil dieses Ergussgesteins war vor 201,27 Millionen Jahren abgelagert, ausgestoßen oder in den Himmel gespien worden – eine Zahl, die allenfalls um dreihunderttausend Jahre nach oben oder unten korrigiert werden muss. Zwischen dem Alter der Basaltgänge auf der späteren Ostseite der Region – vor allem in Nordafrika – und denen im späteren Nordamerika gibt es eine gewisse Diskrepanz: Die amerikanischen scheinen älter zu sein. Diese Tatsache hat zu einer hitzigen Debatte darüber geführt, ob die Vulkanausbrüche wirklich zur Auslöschung eines großen Teils der Fauna und Flora geführt haben, da dieses Massensterben, dem zahlreiche Spezies von Amphibien zum Opfer fielen – was »Nischen« schuf, die das
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