Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Färöerinsel Mykines hinabblickte, war im Kern dasselbe Gewässer, das sich vor diesen Jahrmilliarden gebildet hatte; der Hauptunterschied lag darin begründet, dass das Meerwasser im Hadaikum heiß und ätzend war und allenfalls die primitivsten thermophilen, also wärmeliebenden Organismen am Leben zu erhalten vermochte; die See um die Färöer hingegen war kalt und ihr Wasser sauber; sie war durch Millionen Jahre von Evaporation, Kondensation und Wiederverflüssigung gereinigt und mit Salz, außerdem mit chemischen Ionen von überall her angereichert worden und vibrierte vor Leben – Leben von großer Komplexität und ebensolcher Schönheit. In jeder anderen Hinsicht waren die kühlen Gewässer, die heute die Inseln des Nordatlantiks umspülen, und die dampfenden, ätzenden Gewässer in der so weit zurückreichenden Vergangenheit unseres Planeten, als er noch nicht territorial differenziert war, mehr oder weniger identisch.
Diese territoriale Differenzierung fand bald statt, und ungefähr zur selben Zeit entstand durch Abkühlung des glutflüssigen Gesteins festes, bewohnbares Land.
Zunächst wurde dieses durch wenig mehr als Supervulkane repräsentiert, die sich allenthalben auftaten. Da sie alle voneinander getrennt waren, muss die Erde von oben den Anblick eines gigantischen Industriekomplexes voll unzähliger Schornsteine geboten haben; die riesigen im Meer gelegenen Berge stießen alles verfinsternde Rauchwolken aus und spien tausend Meilen lange Flüsse von zäher, schwarzer Lava ins Wasser. Nach und nach spuckten diese isolierten Vulkane so viel neues Gestein aus, dass sie immer mehr zusammenzuwachsen begannen, und einige dieser Konglomerate erlangten eine solche Stabilität, dass sie im Verein mit anderen, benachbarten schon etwas bildeten, das man als »Landmassen« bezeichnen kann. Lange Zeit später wuchsen diese Landmassen zu noch größeren Gebilden zusammen, die sich als »Protokontinente« auffassen lassen. Und so entwickelte sich das, was das ihn definierende Charakteristikum unseres Planeten in seiner heutigen Gestalt ist: Er wird von Kontinenten und von Meeren gebildet, von festem Land und von Wasser. Allerdings lief der Prozess, an dessen Ende er eine Konfiguration erreichte, die zumindest annähernd wie die heutige aussah, unendlich langsam ab und war von einer fantastischen Komplexität. Erst in unserer Zeit beginnt man allmählich zu verstehen, wie eine multidimensionale Topografie entstand und auch immer wieder verging.
In ihren frühen Tagen mag die Erde schon aus Wasser und Land bestanden haben, doch sie war ein glühend heißer und elendiger Ort. Sie drehte sich sehr viel schneller um ihre Achse als heute; alle fünf Stunden ging die Sonne auf. Hätte es schon Menschen gegeben, hätten diese sie durch die gewaltigen Wolken aus Asche und Rauch und giftigem Gas hindurch wohl kaum sehen können. Und falls diese Wolken sich einmal verzogen, war die Erde ungefilterter starker UV- und Gammastrahlung ausgesetzt, womit ihre Oberfläche zu einem lebensfeindlichen Ort für nahezu alles wurde. Und der neu entstandene Mond war ihr noch so nahe, dass er auf seiner Bahn immer wieder große Flutwellen aus säurehaltigem Wasser auslöste, die solche Kontinente, die schon existierten, überschwemmten und zersetzten.
Einige Kontinente existierten mit Sicherheit schon. Die modernen Geologen haben die Überreste von einem halben Dutzend ehemals zusammenhängender Landmassen ausmachen können, die die Größe von »Erdteilen« erreichten. Was von ihnen blieb, ist durch Milliarden Jahre geologischer Unruhe verstreut worden: Keiner dieser frühen Kontinente ist mehr intakt. Von ihnen ist nur noch eine Ansammlung von in verschieden tiefen und verschieden beschaffenen Erdschichten eingelagerten Fragmenten und Krustensplittern erhalten, deren Alter sich auf mindestens drei Milliarden Jahre datieren lässt und die sich in ansonsten auf keine Weise verbundenen Regionen wie Australien (wo Teile der allerfrühesten Kontinente entdeckt wurden) und Madagaskar, Sri Lanka, Südafrika, der Antarktis und Indien finden.
Es bedarf einer ungeheuer mühevollen Detektivarbeit, um die einzelnen Teile zusammenzufügen und die ursprünglichen Kontinente zu rekonstruieren. Doch durch eine sorgfältige Untersuchung des Alters und der Struktur der betreffenden Gesteinsfragmente hat man die Sequenz der Ereignisse, die zur Ausbildung des heutigen Atlantiks und der ihn einrahmenden Kontinente führten, zumindest annäherungsweise
Weitere Kostenlose Bücher