Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
treten auf und gehen wieder ab …
D as kleine Gebäude, das sie den »Leuchtturm am Ende der Welt« nennen, wird eines Tages mit einem anderen der gleichen Art zusammentreffen, das gegenwärtig zehntausend Meilen von ihm entfernt auf der gegenüberliegenden Seite des Globus steht. Und wenn das geschieht, wenn ein Leuchtturm ganz sacht und langsam gegen den anderen stößt, dann wird die Existenz des Atlantischen Ozeans, wie wir ihn kennen, zu Ende sein.
Zu diesem Ende wird es in ungefähr hundertsiebzig Millionen Jahren kommen, und zwar aufgrund von tektonischen Verlagerungen, in deren Verlauf die Spitze von Südamerika sich nach unten und um die gesamte Landmasse der Antarktis herumschlängeln, anschließend in Richtung Norden kriechen und schließlich irgendwo in der Gegend des heutigen Singapur mit der Spitze der Malaiischen Halbinsel kollidieren wird.
Um zu diesem Bild vom zukünftigen Aussehen der Welt zu gelangen, muss man eine ganze Reihe von Berechnungen anstellen und entsprechende Modelle anfertigen. Eine in Texas beheimatete, auf Paläografie und tektonische Futurologie spezialisierte Gruppe hat das unter der Leitung von Christopher Scotese schon weitgehend erledigt. Eine andere Gruppe, die in England tätig ist, inoffiziell unter dem Namen »The Future is Wild« firmiert und eindeutig kommerzieller ausgerichtet ist als die texanische, hofft, in Hollywood sowie bei den Print- und anderen Medien Abnehmer für ihre sorgfältig erstellten, ausgefeilten Modelle von der geologischen und biologischen Zukunft unseres Planeten zu finden. Beide Gruppen haben Szenarien für die kommenden zweihundert Millionen Jahre entworfen und stimmen dahingehend überein, dass der Superkontinent Pangäa, dessen Auseinanderbrechen einst den Atlantik entstehen ließ, sich eines Tages wieder zusammenfügen wird; sie haben ihm den Namen »Pangäa Ultima« verliehen. Wie genau dieser Prozess der Wiedervereinigung der heute existierenden Kontinente verlaufen wird, darüber herrschen in Wissenschaftskreisen divergierende Ansichten. Doch man ist generell davon überzeugt, dass die Welt am Ende wieder nur einen einzigen Kontinent aufweisen wird, umgeben von einem einzigen Meer. Alle Meere, die heute existieren – also auch der Atlantik –, werden dann der Geschichte angehören.
Gegenwärtig scheint jedoch genau die entgegengesetzte Entwicklung stattzufinden. Anstatt zu »vergehen«, wird der Atlantik kontinuierlich größer und breiter. Die Vulkane, mit denen der Mittelatlantische Rücken übersät ist, speien neues Erdmantelmaterial an die Oberfläche; es steigt auch aus den vielen Rissen und Spalten auf, und die Konvektionsströme in der Tiefe drängen das Seebett weiter auseinander. Es ist, als ob auf beiden Seiten der Gebirgskette Transportbänder stünden, die den Meeresboden in entgegengesetzte Richtungen befördern. Amerika wird so noch weiter nach Westen geschoben, während Afrika und Eurasien gravitätisch in Richtung Osten gleiten. Alle Geologen glauben, dass dieser Prozess schätzungsweise weitere fünf Millionen Jahre, vielleicht auch noch für viel längere Zeit anhalten wird. Doch was die sich daran anschließende Phase betrifft, kommen Wissenschaftler mit ihren Berechnungen zu divergierenden Ergebnissen.
Eine Gruppe sagt etwas voraus, das sie als »Extroversion« bezeichnet. Sie versteht darunter einen Prozess, bei dem die einzelnen Kontinente zunächst wie die Blätter einer sich entfaltenden Blüte auseinanderstreben, sich dann aber wieder aufeinander zubewegen und sich schließlich zu einem einzigen Gebilde verbinden. Bei diesem Szenarium öffnet sich der Atlantik immer mehr, das heißt, er wird ständig breiter, wohingegen der Pazifik immer stärker zusammengedrückt wird, wenn der nord- und der südamerikanische Kontinent sich um Sibirien herum zu einer Kollision mit Ostasien auf den Weg machen. Afrika, Indien und Antarktika rutschen geschlossen in Richtung der diversen Halbinseln und Inseln Südasiens, bis Pangäa Ultima am Ende »fertig« ist. Und wenn dann die Welt aus einer einzigen gigantischen Landmasse besteht, die von einem noch gigantischeren, neu geformten Meer umgeben ist, tritt erst einmal eine Pause ein.
Die andere Gruppe hängt hingegen der Theorie von der »Introversion« an, und ihr Szenarium fällt etwas komplizierter aus. Ihm zufolge würde der Atlantik nach einer Periode der Expansion plötzlich zu schrumpfen anfangen, weil sich an den östlichen Meeresrändern von Nord- und Südamerika
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