Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Subduktionszonen bilden und vor New York City, Halifax und Rio de Janeiro ganze Reihen von Vulkanen aktiv würden – natürlich gäbe es zu jener Zeit sowohl die beiden Amerikas als auch die genannten Städte und alle anderen nicht mehr. Der Boden des Atlantiks würde anfangen, unter dem amerikanischen Kontinent zu verschwinden. Europa und Afrika würden sich zur selben Zeit auf Kollisionskurs befinden und nach und nach das Mittelmeer zu einem Nichts zusammenquetschen. Baja California würde nach Norden rutschen, ebenso Antarktika. In ungefähr zweihundert Millionen Jahren, von heute an gerechnet, käme es dann zum Zusammenprall von Nordamerika mit Afrika, während Südamerika sich um die Spitze von Südafrika herum nach Nordosten aufmachen würde, bis es schließlich mit Südostasien kollidierte.
Dieses Szenarium ist es, das – zumindest theoretisch – auch die Vorstellung von der Kollision zweier Leuchttürme einschließt.
Die Spitze Südamerikas, wo die Anden steil zu den beiden Ozeanen hin abfallen, die von dieser Gebirgskette getrennt werden, ist ein Ort von größter Einsamkeit, aber gerade deswegen von überwältigender Schönheit. Das Leben dort wird von den unablässig wehenden starken und beißend kalten Stürmen aus dem Westen geprägt. Unser Bild von dieser Region wird vor allem von Kap Hoorn bestimmt, das aber eigentlich nur eine niedrige braune Insel ist, die weniger eindrucksvoll aussieht, als ihre Geschichte es erwarten lässt. Einen wesentlich imposanteren Anblick bieten die schneebedeckten Gipfel Feuerlands oder auch die staubigen Ebenen Patagoniens, die Estancias, über die der Wind hinwegfegt, so dass die Schafe hinter Hecken Schutz suchen und die calafate- Büsche sich schütteln. Die frigorificos mit ihren Wellblechdächern, zu denen die Farmer und Gauchos ihre Lämmer schaffen, damit sie geschlachtet werden und das Fleisch für den Transport in andere Länder bereit gemacht wird, die fahlen Gerippe von vor langer Zeit verendeten Walen an den Stränden der Magellanstraße, die ausgebleichen Spanten von vor langer Zeit gesunkenen Klippern an den Rändern der Buchten, in die sie bei dem gescheiterten Versuch gerieten, Kap Hoorn zu umsegeln – all dies ist es, was dem südlichsten Ausläufer der Anden seinen so abweisend schroffen und gleichzeitig reizvollen Charakter verleiht.
Zwanzig Meilen vor der am weitesten ins Meer hineinragenden östlichen Spitze des Festlands liegt die Isla de los Estados, wie die Einheimischen sie nennen, spanisch für Staten Island, wie die Insel auch heißt, da dieses längliche Gebilde – ein Wirrwarr aus spitzen Gipfeln und tiefen Tälern, vom Wind verkrüppelten Buchen und mit Moos bewachsenen Mooren, auf denen man hin und wieder auf die Ruinen von alten Gefangenenlagern trifft – von Holländern entdeckt und benannt wurde, und zwar nach den »Staaten-Generaal«, den niederländischen Generalständen, unter deren Ägide die Expedition stattgefunden hatte. Diese zu Argentinien gehörende Insel ist also die zweite dieses Namens. Doch während die eine, die bei New York, die ja ebenfalls von Niederländern besiedelt worden war, sich zu einem florierenden, von einer halben Million Menschen bewohnten Vorort der Metropole entwickelt hat, ist die andere nicht permanent bewohnt. Sie ist öde und abweisend und absolut unwirtlich. Mehrere Leuchttürme sind hier im Lauf der Zeit errichtet und wegen der heftigen Stürme wieder aufgegeben worden. Sogar ein Militärgefängnis mit soliden Mauern, das man 1899 auf der Insel erbaute, überstand nur drei Jahre, bevor es von Stürmen beschädigt wurde, was Aufstände unter den Gefangenen und Ausbrüche zur Folge hatte. Heute ist das Eiland zu einem Schutzgebiet für die auf ihm brütenden Magellan-Pinguine erklärt worden, und ein kleiner Trupp argentinischer Seeleute ist dort stationiert; die Männer werden immer nach fünfundvierzig Tagen abgelöst, weil sie wegen des miserablen Wetters und des unwirtlichen Terrains den Dienst auf der Isla de los Estados regelrecht hassen.
Jules Verne war sonderbarerweise sein Leben lang von der Insel fasziniert, obwohl er ihr nie einen Besuch abstattete. Der letzte Roman, den er verfasste, Das Licht am Ende der Welt, handelt von einer Seeräuberbande, die dort ihr Unwesen treibt, das Leuchtfeuer zum Erlöschen bringt und so vorüberfahrende Handelsschiffe auf die Klippen lockt. Ein Jahrhundert später rekonstruierte ein Franzose namens André Bronner, der sich für Schifffahrt begeisterte,
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